Es gibt noch Karten für die Gezeitenkonzerte

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Tine Thing Helseth, Foto: Colin Bell
Tine Thing Helseth, Foto: Colin Bell

Wie dieses Gerücht (s. Vermutung auf unserer Facebook-Seite vom 27. Februar) entsteht, dass es schwer sei, Karten für die Gezeitenkonzerte zu bekommen, wissen wir immer noch nicht. Sicher ist heute, gut fünf Wochen vor Beginn des Festivals, dass es für die meisten Konzerte noch Karten gibt. Leider ist die Befürchtung, dass das Auftaktkonzert im Presswerk des Volkswagenwerkes frühzeitig ausverkauft sein würde, entgegen unserer Vermutung tatsächlich schneller eingetreten als gedacht. Die gute Nachricht ist: Alle, die für Tine Thing Helseth und das Ensemble Allegria keine Karten mehr bekommen haben, können sich auf den geplanten Mitschnitt unseres Kulturpartners NDR Kultur freuen. (Der Sendetermin wird, sobald er feststeht, hier bekannt gegeben!). →Weiterlesen… “Es gibt noch Karten für die Gezeitenkonzerte”

Neue Musik in der Kunsthalle

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Peter Ruzicka, Foto: Wilfried Beege
Peter Ruzicka, Foto: Wilfried Beege

Nach unserem Portraitkonzert mit Jörg Widmann und dessen Werken im vergangenen Jahr, interpretiert vom jungen Rostocker neophon ensemble, gibt es in diesem Jahr eine Neuauflage. Peter Ruzicka, in Hamburg lebender Komponist und früherer Intendant der Salzburger Festspiele, hat sich sehr über die Anfrage Matthias Kirschnereits, ob er eine Auswahl seiner Werke in der Kunsthalle Emden vorstellen mag, gefreut und begeistert zugestimmt. Er sprach den Wunsch aus, dieses Vorhaben gemeinsam mit dem Minguet Quartett, einem der führenden Streichquartette der jüngeren Generation weltweit, zu realisieren. Das macht Sinn, hat doch genau dieses Ensemble für die Einspielung sämtlicher Werke Peter Ruzickas für Streichquartett 2010 den Echo Klassik verliehen bekommen.

Glücklicherweise ist Annette Reisinger, 2. Geigerin und Managerin, eine sehr aufgeschlossene und engagierte Frau, die sogleich zusagte, sich um eine Sängerin für sein 6. Streichquartett mit Sopran “ERINNERUNG UND VERGESSEN” zu bemühen, mit der das Quartett gut harmonieren würde. So werden nun am 27. Juni 2014 auf der Bühne im Atrium der Kunsthalle Emden neben Peter Ruzicka und dem Minguet Quartett auch die russische Sopranistin Alexandra Lubchansky und die Pianistin Sophie-Mayuko Vetter auf der Bühne stehen. Eine weitere Besonderheit dieses Gezeitenkonzertes ist, dass Sophie-Mayuko Vetter Peter Ruzickas „R.W.“ in einer Fassung für Klavier solo zur Uraufführung bringen wird. Der SIKORSKI Verlag schrieb darüber jüngst: „R.W.“ ist Teil des Gesamtwerkes „ZWEI ÜBERMALUNGEN“ für großes Orchester, welches die Philharmoniker Hamburg unter der Leitung des Komponisten am 17. November 2013 in der Laeiszhalle Hamburg uraufgeführt hatten. Das Bemerkenswerte an „ZWEI ÜBERMALUNGEN“ ist, dass zwei im Grunde voneinander unabhängige Werke miteinander korrelieren. Das zweite Werk „ÜBER UNSTERN“ bezieht sich auf Liszts spätes Klavierwerk „Unstern – Sinistre“ aus dem Jahr 1885, bei dem Untertitel „R.W.“ handelt es sich um eine Hommage an Richard Wagner.”

Die Kunsthalle freut sich, dass die Ostfriesische Landschaft den Mut hat, im Rahmen der Gezeitenkonzerte speziell Neue Musik im Atrium zu etablieren. Sicherlich ist das kein Programm für jedermann. Was es für mich so interessant macht, ist, dass der Komponist selbst dabei ist und die Gelegenheit bekommt, seine Werke oder die Intention seiner Komposition zu erläutern. Peter Becker hat auf Ruzickas Homepage sehr viel über dessen Schaffen geschrieben, aber zwischen Lesen und Erleben liegen eben doch Welten. Nichts desto trotz kann ich jedem Interessenten das Studium der Homepage von Peter Ruzicka ans Herz legen: Es gibt viel zu entdecken, ebenso wie bei den ausführenden KünstlerInnen. Und ich werde mir nicht anmaßen, irgendetwas zu seinem Oeuvre zu schreiben: Hörproben gibt es auch!

Minguet Quartett, Foto: Ruth Hommelsheim
Minguet Quartett, Foto: Ruth Hommelsheim

Nicht nur Uwe Pape hat sich gefragt, wo der Name Minguet Quartett herkommt: „Pablo Minguet war ein spanischer Philosoph des 18. Jahrhunderts, der sich in seinen Schriften darum bemühte, dem breiten Volk Zugang zu den Schönen Künsten zu verschaffen – für das Minguet Quartett ist dieser Gedanke künstlerisches Programm.“ (Zitat: Homepage)
Es ist nicht ihr erstes Konzert in der Kunsthalle. Wie mir Annette Reisinger verriet, war das Minguet Quartett genau dort schon vor ein paar Jahren mit den Niedersächsischen Musiktagen zu Gast.

Alexandra Lubchansky ist eine international gefragte Konzertsängerin, die bereits als Solistin u.a. mit dem Deutschen Symphonieorchester Berlin, den Sinfonieorchestern des Bayerischen Rundfunks und des Hessischen Rundfunks, der Nordwestdeutschen Philharmonie und dem Österreichischen Ensemble für Neue Musik auftrat.

Sophie-Mayuko Vetter, Foto: Black Spring Graphics
Sophie-Mayuko Vetter, Foto: Black Spring Graphics

Sophie-Mayuko Vetter gilt als eine der vielseitigsten und bemerkenswertesten Pianistinnen der jungen Generation. Geboren in Japan, kam sie bereits als Siebenjährige nach Deutschland. Im gleichen Alter gab sie ihren ersten Soloabend im Mozarteum Salzburg. Auf vielen internationalen Podien, etwa bei den Salzburger Festspielen, in Frankfurt, München, London, Hongkong und Tokyo, stellte sie ihr breites Repertoireprofil vom Frühbarock über das pianistische Kernrepertoire bis zur zeitgenössischen Musik unter Beweis. Interessant finde ich auch, dass sie bis zum Alter von 18 Jahren gemeinsam mit ihrem Vater Michael Vetter weltweit Konzerte und Meisterkurse als Obertonsängerin gab – Einflüsse, die ihr Klangempfinden als Pianistin laut ihrem Lebenslauf in besonderer Weise mitgeprägt haben.

Peter Ruzicka wurde 1948 in Düsseldorf geboren. An eine instrumentale und theoretische Ausbildung am Hamburger Konservatorium (Klavier, Oboe, Kompositionstheorie) schlossen sich Kompositionsstudien bei Hans Werner Henze und Hans Otte an. Er studierte Rechts- und Musikwissenschaften in München, Hamburg und Berlin und promovierte mit einer interdisziplinären Dissertation über das “ewige Urheberpersönlichkeitsrecht”. Letztere gibt es übrigens zum Download ebenfalls auf seiner Homepage.

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Klassik im Probe-Modus

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Öffentliche Probe mit der Kammerakademie Potsdam in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden
Öffentliche Probe mit der Kammerakademie Potsdam in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden

Wir kennen sie in eleganten Abendroben oder dem kleinen Schwarzen, in schickem Anzug mit oder ohne Krawatte: Die Musiker und Musikerinnen der Gezeitenkonzerte sind bei ihren abendlichen Auftritten im besten Sinne des Wortes geschniegelt und gestriegelt. Doch bei der Öffentlichen Generalprobe zum Abschlusskonzert in der Emder Johannes a Lasco Bibliothek konnte man am Sonntag die Künstler mal von einer ganz anderen Seite erleben – leger und locker in jeder Hinsicht, gelöst und scheinbar ohne Lampenfieber.

“Ist das jetzt ein Techniker oder ein Musiker?”, fragte sich ein Besucher und beobachtete einen Typen mit lockigem Haar in weißem T-Shirt und kurzer Hose, der eine Geige zur Bühne trug. Und ja, es war ein Musiker und zwar von der Potsdamer Kammerakademie im, dem Wetter angemessenen, Sommeroutfit. Auch Matthias Kirschnereit, der künstlerische Leiter der Gezeitenkonzerte der Ostfriesischen Landschaft, ließ es am Vormittag eher entspannt angehen – trug ein bunt geblümtes Hemd zum Drei-Tage-Bart.

Ja, bei der Generalprobe ist eben alles ein wenig anders. Und gerade das machte wohl für 350 Gäste und auch für das Team des Festivals den Reiz aus. Hier darf man auch schon mal aufstehen und das stille Örtchen aufsuchen, wenn es pressiert. Zumindest ohne böse Blicke zu ernten. Und auch die Schale mit Hustenbonbons eines bekannten Schweizer Herstellers fehlte gänzlich. Die, so erzählte ein Paar aus dem Kölner Raum, würden bei Klassikkonzerten in der Domstadt vor Beginn gereicht, um potenziell kratzende Hälse zu besänftigen.

Bereits im vergangenen Jahr hatte sich die Öffentliche Generalprobe als Geheim-Tipp erwiesen.Und das mit Recht. Doch so entspannt und leger die Atmosphäre am Vormittag auch war, so konzentriert und fokussiert waren die Musiker trotz allem auf der Bühne. So wurde während der Probe an Details von Mozart’schen und Fils’schen Werken gefeilt, mit einem netten Nebeneffekt für das Publikum. Das erhaschte bei dieser Gelegenheit nämlich nicht nur einen Blick hinter die Kulissen des Konzertbetriebes, sondern kam auch noch in den Genuss manchen Satz gleich mehrfach zu hören. Ein für alle angenehmer und spannender Vormittag, der erst gegen 14:00 Uhr endete.

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Musikalische Sternstunde in Sengwarden

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Christian Tetzlaff und Matthias Kirschnereit beim Gezeitenkonzert in Sengwarden, Foto: Karlheinz Krämer
Christian Tetzlaff und Matthias Kirschnereit beim Gezeitenkonzert in Sengwarden, Foto: Karlheinz Krämer

Christian Tetzlaff, einer der anerkannt weltbesten Geiger, war am vergangenen Freitag zu Gast in der St.-Georgs-Kirche zu Sengwarden. Gemeinsam mit Matthias Kirschnereit spielte er Violinsonaten von Janáček, Beethoven, Mozart und Ravel. Und um meine Presseschelte gleich zu Beginn des Blog-Beitrags loszuwerden: Nicht alle maßgeblichen Zeitungen Ostfrieslands hatten Rezensenten geschickt – dabei hätte dieses Konzert für kulturinteressierte Journalisten der Region doch sogar ein privater Pflichttermin sein müssen! Womöglich zog mancher die TV-Fernbedienung vor, um sich ein langweiliges Bayern München-Heimspiel anzuschauen? Welch ein Fehlgriff! Und dabei gab es noch nicht einmal Musik von György Kurtág…

Das Konzert begann mit der eigentlich etwas unzugänglichen Violinsonate von Leoš Janáček, die der tschechische Komponist in mehreren Anläufen zwischen 1914 und 1921 komponierte, und die schon einen Beigeschmack von bitterer Kriegserfahrung hörbar werden lässt. Christian Tetzlaff und Matthias Kirschnereit, die seit einem Vierteljahrhundert gemeinsam musizieren, fühlten sich vom ersten Takt an in diese Welt hinein und übertrugen die manchmal spröden, oft erstaunlich melodiösen, auch sperrigen Klänge des eigenwilligen Janáček-Stils auf das spannungsvoll zuhörende Publikum. Dagegen wirkte die anschließend vorgetragene klassische Violinsonate von Ludwig van Beethoven Nr. 6 A-Dur op. 30/1 von 1802 zwar nicht erholsam, aber doch auf alle Fälle beruhigend. Mit dem abschließenden, originellen Variationssatz entließen uns die beiden Künstler in die Pause.

Die Sengwarder Kirche hat nur einen Ausgang, und der Weg zum Gemeindehaus führt durch einen recht schmalen, heckengesäumten Weg. Es dauerte also entsprechend lange, bis alle Besucher ein wenig Luft schnappen, sich erfrischen und konditionell auftanken konnten. Das Wetter spielte mit, denn es blieb glücklicherweise trocken, und das Haase-Catering stand auch ohne Pavillon nicht im Regen.

Die zweite Konzerthälfte führte nun von der Klassik zur Nachromantik zurück und begann mit der e-Moll-Violinsonate KV 304 (300c) von Wolfgang Amadeus Mozart. Diese Sonate ist ein sehr spezielles Werk, der man ihren sonst so typisch erkennbaren Komponisten nicht unbedingt anhört. Mozart schrieb diese seine einzige Moll-Violinsonate (von insgesamt achtzehn) 1778 in Paris. Er hatte dort gerade den tragischen Tod seiner Mutter zu verkraften, die ihn als einziges Familienmitglied auf einer längeren Westeuropatournee begleitet hatte. Nun hieß es, die Familie zu informieren, die Formalitäten zu bewältigen und trotz allem künstlerisch wie wirtschaftlich zurecht zu kommen – was für ein Spagat! Mozarts e-Moll-Sonate klingt daher auch wie außerhalb der Zeit, an manchen Stellen wie Schubert, und sie erreicht jeden Hörer, der mit dem Herzen bei der Sache ist, in seinem tiefsten Innern. Meine Sitznachbarin, die das Stück noch nicht kannte, meinte anschließend, das man kaum darauf kommen würde, dass diese Sonate von Mozart sei. Christian Tetzlaff und Matthias Kirschnereit lieben dieses Stück hörbar und vermittelten ihre tiefe Vertrautheit mit der Musik dem weiterhin konzentriert lauschenden Publikum, so dass eine besondere Atmosphäre entstehen konnte – gerade hier, wo manches quasi „hinter den Noten“ steht. Das letzte Werk des Abends schloss dann den Bogen zu Janáček, denn es gab die Violinsonate von Maurice Ravel, beendet 1927, nach vier Jahren Arbeit. Auch Ravel ist ein eigensinniger Komponist, der keiner „Schule“ zugeordnet werden kann und zwischen Impressionismus und Neoklassizismus seinen ganz eigenen Weg gefunden hat. Es machte ihm gar nichts aus, sogar Jazzelemente in die Kammermusik zu integrieren, somit als Mittelsatz einen „Blues“ auszupacken, wobei Christian Tetzlaff die Geige stellenweise zur Gitarre werden ließ und Matthias Kirschnereit als kongenialer Partner die bitonale Basis legte. Vorab erklang der überwiegend verhaltene Dialog des Kopfsatzes (Allegretto), von den beiden Musikern wunderschön ausbalanciert dargeboten. Die von Ravel (ironisch?) diagnostizierte Unvereinbarkeit von Geige und Klavier, die ihn – absurderweise – nicht davon abhielt, eine Sonate für genau diese Besetzung zu schreiben, dokumentiert er dann im abschließenden Perpetuum mobile-Satz (Allegro), der den Geiger gefühlt noch einmal genauso viele Noten spielen lässt wie bereits seit Konzertbeginn, während nur der Pianist das thematische Geschehen präsentiert.

Den donnernden Applaus der begeisterten Konzertbesucher, die diese musikalische Sternstunde in Sengwarden miterlebten, konterte das Duo mit zwei Zugaben von Schumann und Beethoven, die wohl mit Augenzwinkern als Reminiszenz an das tolle 2012er Konzert in Remels gedacht waren.

Dieses ausverkaufte Konzert wurde vom Medienpartner der Gezeitenkonzerte, NDR Kultur, aufgezeichnet und wird demzufolge in naher Zukunft für alle Musikinteressierten jenseits der Sengwarder Besucher nacherlebbar sein. Da kann parallel Bayern egal gegen wen (oder sogar gegen Werder) spielen – man sollte vor dem Radio sitzen und der Musik zuhören, denn es wird unvergesslich bleiben.

Christian Tetzlaff und Matthias Kirschnereit, Foto: Karlheinz Krämer
Christian Tetzlaff und Matthias Kirschnereit, Foto: Karlheinz Krämer

Stürmische Zeiten in Dangast

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Altes Kurhaus Dangast, Foto: Karlheinz Krämer
Altes Kurhaus Dangast, Foto: Karlheinz Krämer

Wer braucht schon Sonnenschein? Das Alte Kurhaus in Dangast präsentierte sich am Mittwochabend von seiner stürmischen Seite. Der Wind pfiff um das alte Gemäuer, zerrte an Jacken und Röcken und versetzte so mancher Frisur den haartechnischen “Todesstoß”. Das hatten sich viele Gäste des Gezeitenkonzertes mit dem SIGNUM Saxophonquartett wohl anders vorgestellt: Mit der Sonnenbrille auf der Nase und der Abendsonne im Gesicht hatte man sich auf der Terrasse mit Meer- oder wahlweise Wattblick sitzen sehen. In der Hand eine Weinschorle oder eine Tasse Kaffee, auf dem Teller ein Stück des legendären Rhabarber-Baiser-Kuchens. Soweit der Plan – wenn es da nicht dieses für diese Region so typische Schietwetter gäbe…

Denn zugegeben – die letzten Wochen wurden wir von den hochsommerlichen Temperaturen nun wirklich auf eher ungewohnte Art und Weise verwöhnt. Und so machte es den meisten Besuchern am Mittwochabend auch nichts aus, den Kuchen, einen Kaffee oder alternativ auch einen Teller dampfendem Möhreneintopf hinter den hohen Fenstern des Kurhauses einzunehmen, vor denen der Sturm tobte. Manch einer schien sogar einmal tief durchzuatmen, ob der Hitze der letzten Wochen. Frischluft frei Haus. Doch nun genug vom Wetter…

Das SIGNUM Saxophonquartett auf dem Weg zur Gezeiten-Fotosession, Foto: Karlheinz Krämer
Das SIGNUM Saxophonquartett auf dem Weg zur Gezeiten-Fotosession, Foto: Karlheinz Krämer

Das Kurhaus in Dangast platzte am Mittwoch jedenfalls aus allen Nähten – und das mit Recht. Denn die vier charismatischen Musiker des SIGNUM Saxophonquartetts machten einfach Spaß. Und das sogar schon vor dem Konzert. Mit unserem Festivalfotografen Karlheinz Krämer stapften sie im schwarzen Abenddress durch den Sturm zum Steg, der in der Nähe des Kurhauses ins Wasser/Watt ragt. Dort posierten die vier mit ihren Instrumenten und fliegenden Rockschößen für das Plakat der Gezeitenkonzerte 2014. Locker und unbefangen machten die Künstler Quatsch und sorgten so bei unserem Fotografen für einen lockeren Finger am Auslöser. Das Ergebnis sind Aufnahmen mit Aussage, Witz und Dynamik. Da wird es – glücklicherweise – schwer werden, das Passende für die Gezeitenkonzerte 2014 zu finden.

Freude und Spaß am Spiel bewiesen die Musiker anschließend auch beim Konzert. Vieles spielten sie auswendig und mit jeder Menge Verve – das riss mit, das begeisterte. Ob bekannte Klänge aus Gershwins “Porgy and Bess” oder extra für das Quartett geschriebene Werke aus der Feder der litauischen Komponistin Zita Bružaitė – so schön, kraftvoll und energiegeladen hat man Saxophon selten gehört. Und während das Ohr ganz bei den Künstlern auf der Bühne war, suchte das Auge hin und wieder den Jadebusen vor dem Fenster. Dort suchte sich in der Abenddämmerung das Wasser glucksend seinen Weg zurück in die Priele. Musik, Natur, Gefühl, Genuss. Ein Konzert mit dem gewissen Etwas eben!

Das SIGNUM Saxophonquartett als Gipfelstürmer beim Gezeitenkonzert beim Alten Kurhaus Dangast, Foto: Karlheinz Krämer
Das SIGNUM Saxophonquartett als Gipfelstürmer beim Gezeitenkonzert beim Alten Kurhaus Dangast, Foto: Karlheinz Krämer

Arle – Ausnahmezustand bei den Gezeitenkonzerten

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Sharon Kam  nach ihrem Gezeitenkonzert in Arle, Foto: Karlheinz Krämer
Sharon Kam nach ihrem Gezeitenkonzert in Arle, Foto: Karlheinz Krämer

Der entscheidende Satz (gesprochen, nicht vertont!) fiel ganz am Ende. Tief hatten Sharon Kam (Klarinette), ihr Bruder Ori Kam (Bratsche) und Matan Porat (Klavier) in der Repertoirekiste für diese ungewöhnliche Besetzung gewühlt und ein wunderbares Programm zusammengestellt. Aber: für die Zugabe blieb kein Stück übrig. Wie kann man das ändern? Ganz einfach, man lässt sich ein Stück schreiben. So scherzte Sharon Kam; aber so selbstbewusst, dass alle Komponisten mit den Ohren zucken müssen.
Matan Porat, selber renommierter Komponist, dürfte jedenfalls aufgehorcht haben. „Nächstes Jahr“, sagte Sharon Kam, käme man dann mit dem neuen Stück wieder. Das ist doch eine Ansage. Dreimal hat sie in den letzten zwei Jahren in Ostfriesland gespielt. Zwei davon bei den Gezeitenkonzerten der Ostfriesischen Landschaft. Ein leeres Versprechen für die schnelle Publikumsbefriedigung hört sich anders an. Wir dürfen also sehr gespannt sein.

Ori Kam, Foto: Karlheinz Krämer
Ori Kam, Foto: Karlheinz Krämer

Nach dem riesigen Applaus wollten sich die Musiker aber trotzdem beim Publikum bedanken und spielten noch einmal den schnellsten Satz von Max Bruchs „Acht Stücken“. Der Applaus von 380 Besuchern brandete in der ausverkauften großen Kirche Arle auf.
Begonnen hatte das Konzert ähnlich spektakulär mit Mozarts Kegelstatt-Trio. Klarinette, Viola, Klavier – das ist nicht gerade eine geläufige Zusammensetzung. Vor allem die Bratsche und die Klarinette stechen sich für gewöhnlich aus. Das sagte Sharon Kam am Ende auch: Eigentlich bestehe diese Besetzung quasi aus Klavier, Bratsche, Bratsche. Und sagt: „Ich bin eine Bratsche“. Aha, Klavier und zwei Bratschen also. Wie gut, dass es nicht so klang. Sonst hätte man nicht Sharon Kams einzigartig weichen, schwingenden Klang vernommen, der schon letztes Jahr in Reepsholt die Leute so verzaubert hatte, dass sich bereits zur Pause eine lange Autogramm-Schlange bildete.

Es ist immer wieder erstaunlich, die Gezeitenkonzerte mit den Nebenstars aus der Instrumentenfamilie mit zu erleben. Wie wunderbar auch diese in Erscheinung treten können, zeigt Mozarts Kegelstatt-Trio, eine 22 minütige Liebeserklärung an seine drei Lieblingsinstrumente. Das Besondere an diesem Werk ist (neben der Besetzung) die absolute Gleichwertigkeit der Instrumente, die in einen Dialog treten, in dem niemand vorlaut oder dominierend auftritt. Einander ebenbürtig und „voller gegenseitiger Achtung und Zuneigung“ (Ulf Brenken) entwickeln die drei ein inniges Gespräch, mit einem wehmütigen Grundton, schattig verhangen. Wobei „entwickeln“ das falsche Wort ist. Denn auch die formale Ebene ist so ungewöhnlich, dass eine thematische Entwicklung im ersten Satz kaum stattfindet. An manchen Stellen scheint die Musik fast auf der Stelle zu treten, die drei interessieren sich plötzlich nicht mehr für Form und Zeit(-geist) und verweilen in ihrem eigenen Kosmos. 1786, Neue Innigkeit. 2013, immer noch berührend. Und gibt es eine bessere Zusammensetzung als die Geschwister Kam für dieses Stück? Wobei auch Matan Porats Spiel in der Pause hochgelobt wurde. Ein fantastisches Trio.
Inniger, romantischer, phantastischer, geheimnisvoller wurde es in Schumanns „Märchenerzählungen“, vier knappen Stücken. Auch hier wird das Trio wieder zum Experimentierfeld und die drei Musiker haben das Publikum da längst für sich eingenommen.

Nach der Pause (deutlich frischer Wind auf dem Kirchhügel) ging die Entdeckungsreise weiter. Frisch wirkte auch Kurtágs Hommage an Schumann, beseelt von allen modernen Kompositionsmöglichkeiten, inklusive Hand im Klavierkörper.
Achja. Zeit für das Fashion-Intermezzo. A propos frisch. Mode und Musik haben ja manchmal doch miteinander zu tun. Sharon Kam trug ein strahlend grünes Kleid. Kam sehr gut an. Nichts gegen schwarz, aber etwas Farbe ist immer gut. Auch das sollte hier mal geschrieben werden. Intermezzo ende.
Mit Bruchs „Acht Stücken“ für diese Besetzung endete der Abend fulminant, noch ganz in der Romantik des 19. Jahrhunderts versunken, wunderbare Charakterstücke, mal schwermütig, dann wieder ausufernd wild. In Arle erlebten wir einen Abend voller Ausnahmen und drei echten Ausnahmekünstlern. Und wer weiß, im nächsten Jahr gibt es dann eine Uraufführung bei den Gezeiten?!

Sharon bei der Probe vor dem Gezeitenkonzert in Arle, Foto: Karlheinz Krämer
Sharon bei der Probe vor dem Gezeitenkonzert in Arle, Foto: Karlheinz Krämer

„Es ist so schönes Wetter draußen”

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Ingolf Turban und die Academy of Taiwan Strings beim Gezeitenkonzert in der Großen Kirche Leer, Foto: Karlheinz Krämer
Ingolf Turban und die Academy of Taiwan Strings beim Gezeitenkonzert in der Großen Kirche Leer, Foto: Karlheinz Krämer

Was haben fünfzehn taiwanesische Streicher, ein süddeutscher Geiger, drei italienische Komponisten, vier Zugaben und dreihundert überwiegend ostfriesische Zuhörer gemeinsam? Alles traf sich beim Gezeitenkonzert in der Großen Kirche in Leer, das am vergangenen Sonntag über die Bühne ging. Übrigens mit neuem Abendkassenrekord – auch das sollte hier mal geschrieben werden.

Die fünfzehnköpfige Academy of Taiwan Strings (plus Management) hatten zusammen etwa die zehnfachen Anreisekilometer wie die komplette Zuhörerschaft auf dem Tacho – das musikalische Engagement des jungen Ensembles aber war trotz Nachwirkung der transkontinentalen Anreise ungebrochen. Zunächst stellte es uns ein Werk des 1970 geborenen taiwanesischen Komponisten Zhe-Yi Li vor: „String dance“ – das klang nach schmissiger Filmmusik, wie sie ein entspannter Bernard Hermann hätte schreiben mögen, wenn „Psycho“ eine Balletteinlage gehabt hätte. Stomp!

Ingolf Turban, Foto: Karlheinz Krämer
Ingolf Turban, Foto: Karlheinz Krämer

Dann trat er aufs Podium: Ingolf Turban. Der Münchner mit badensischen Wurzeln hatte bereits am Nachmittag im Martin-Luther-Haus der Berufsakademie Ostfriesland den 2006 gedrehten Film „Paganinis Geheimnis“ vorgestellt, in dem er auch in die Rolle des italienischen Geiger schlüpfte. Nach der Vorführung nahm er sich noch über eine halbe Stunde Zeit, manche Fragen zum ambivalenten Thema „Teufelsgeiger“ zu beantworten und Missverständnisse aufzuklären – sehr informativ!

Mit der Academy of Taiwan Strings spielte er nun gemeinsam drei Stücke von Tartini, Paganini und Sivori – also Werke von einem verehrten Vorläufer Paganinis, dem Meistergeiger selbst und von seinem einzigen Schüler. Giuseppe Tartinis berühmte „Sonate mit dem Teufelstriller“ hat mehr als nur den letzten Satz, und tatsächlich kommt dann ein hörenswertes Barockkonzert zum Vorschein. Natürlich wurde diese Darbietung von Niccolò Paganinis „Le streghe“ (Hexentanz) getoppt, denn nun zupfte, klimperte, spritzte und sprang es von der Geige in den Saal, dass man sich fragte, ob die Ohren mehr sehen als die Augen hören: Faszinierendes Virtuosentum, und das über ein eigentlich melodiöses Thema aus einem Ballett von Franz Xaver Süßmayr, das 1813 halb Mailand vor sich hinsummte! Paganini, der Marketing-Fuchs, nutze das brillant aus und schrieb ein Stück, das auch heute noch großen Spaß verbreiten kann. Dann noch eine wunderschöne Romanze von Camillo Sivori – und ich hätte die Quizfrage auch nicht zu beantworten gewusst, was es mit diesem Namen auf sich hat. Wie heißt noch gleich das Motto der diesjährigen Gezeitenkonzerte? Entdeckungen! Da war wieder eine!

Noch vor der Pause gab es schon mal zwei Zugaben. Ingolf Turban spielte zunächst Paganinis Introduktion und Variationen über die Arie „Nel cor piu non mi sento“ aus der Oper „La bella molinara“ von Giovanni Paisiello. Und als der tosende Applaus partout nicht enden wollte, hatte er noch einen Joker im Ärmel beziehungsweise in den Fingern: Angesichts der strahlenden Spätnachmittagssonne, die den Kirchenraum freundlich beleuchtete, gab es noch den ersten Satz aus der Sonate für Violine allein op. 31/2 von Paul Hindemith. Die hat nämlich einen sensationellen Untertitel: „Es ist so schönes Wetter draußen”.

Das Wetter konnten die Besucher dann in der Pause genießen. Mancher sah sich jetzt erst die imposante Große Kirche bewusst von außen an und beschloss, das frisch renovierte Gebäude bei Gelegenheit noch einmal zu besichtigen.

Warten auf den Auftritt - Mitglieder der Academy of Taiwan Strings, Foto: Karlheinz Krämer
Warten auf den Auftritt – Mitglieder der Academy of Taiwan Strings, Foto: Karlheinz Krämer

Ingolf Turban kam rechtzeitig zum zweiten Teil des Konzertes aus seinem Künstlerzimmer zurück, um sich anzuhören, wie die Academy of Taiwan Strings das Werk eines national-romantischen Europäers wiedergeben würden. Sie spielte Antonín Dvořáks Serenade für Streichorchester, die mit ihren fünf in der Tat nachtmusikalischen Sätzen sehr bezaubernd ist. Auch das asiatische Ensemble kam nicht unter zwei Zugaben aus der Kirche und spielte daher zunächst das Larghetto, den langsamen Mittelsatz, aus Edward Elgars Serenade for Strings. (Sie wird übrigens in voller Länge beim Abschlusskonzert in Emden zu hören sein.) Und zum guten Schluss rundete wiederum ein Werk aus der Heimat des Gastensembles das Konzert ab: Es gab den „Handpuppentanz“ von Pong Jing (wenn ich die Managerin des Orchesters richtig verstanden habe), ein witziges, kurzes Stück, mit dem alle nach fast zweieinhalb Stunden unbeschwert die Kirche verließen.

Das Orga-Team, dessen freundliche Bekanntschaft ich nun schon ein halbes Dutzend Mal persönlich machen durfte, war übrigens noch gezeichnet von der Langen Nacht vom Vortag. Manchmal bin ich ganz froh, im Anschluss an ein Konzert nur noch im Auto von Matthias Kirschnereit gemütlich zurück nach Hamburg gefahren zu werden. Aber ich komme gern wieder!

Academy of Taiwan Strings, Foto: Karlheinz Krämer
Academy of Taiwan Strings, Foto: Karlheinz Krämer

Frisch, jung und unglaublich gut

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Junge Musikerinnen vom Haydn Jeugd Strijkorkest vor dem Gezeitenkonzert in Weener, Foto: Karlheinz Krämer
Junge Musikerinnen vom Haydn Jeugd Strijkorkest vor dem Gezeitenkonzert in Weener, Foto: Karlheinz Krämer

Frischer Wind in alten Mauern: Am Donnerstagabend standen die Gezeitenkonzerte der Ostfriesischen Landschaft ganz im Zeichen des Nachwuchses. In der imposanten Kirche von Weener gab es klassische Klänge von Jugendorchestern – und das gleich im Doppelpack. Auch für das ungeübte Ohr klang das richtig gut. Es machte einfach Spaß zuzuhören. Auf der Bühne musizierten das Puchheimer Jugendkammerorchester aus der Nähe von München sowie das Haydn Jeugd Strijkorkest aus dem niederländischen Groningen. Und das taten die knapp 60 Musiker im Alter zwischen 11 und 19 Jahren mit solch einer Spielfreude und Hingabe, dass man einfach nur die Augen schließen mochte und lauschen.

Neben der Musik vermittelten die jungen Musiker aus beiden Ländern aber noch etwas ganz Anderes, und das eigentlich ganz nebenbei: Musik verbindet, gemeinsames Musizieren noch viel mehr – und Klassische Musik ist alles andere als langweilig oder gar verstaubt. Schon vor dem Konzert herrschte rund um die altehrwürdige Kirche reges Leben. Da wurde gelacht und gealbert, die jungen Nachwuchstalente saßen in konzertanter Abendrobe auf dem Geländer des Pfarrhauses oder spielten sich auf dem Kirchplatz warm – unkompliziert, unbefangen, einfach herrlich. Dass die Stimmung unter den Mitgliedern der beiden Orchester entspannt war, war sicher auch den gemeinsamen Konzerten zu verdanken, die sie in den vergangenen Tagen zusammen gespielt haben. Der Strandtag mit integriertem Auftritt auf der Insel Schiermonnikoog dürfte sein Übriges getan haben. Zudem haben für die Puchheimer Musiker gerade erst die Sommerferien begonnen – das Gastspiel in Ostfriesland, ein klasse Start in die Ferien.

Kurzum – der Konzertabend in Weener war ein perfektes Beispiel für die Musik als verbindendes Element und die Kraft und Begeisterungsfähigkeit der jungen Generation. Davon will man mehr!

Haydn Jeugd Strijkorkest und Puchheimer Jugendkammerorchester, Foto: Karlheinz Krämer
Haydn Jeugd Strijkorkest und Puchheimer Jugendkammerorchester, Foto: Karlheinz Krämer

Jugendkammerorchester im Doppelpack bei den Gezeitenkonzerten

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Haydn Jeugd Strijkorkest, Foto: privat
Haydn Jeugd Strijkorkest, Foto: privat

Morgen wird es spannend! Dann kommen gleich zwei Jugendorchester zum Gezeitenkonzert nach Weener. Sowohl das niederländische Haydn Jeugd Strijkorkest aus Groningen als auch das Puchheimer Jugendkammerorchester umfassen je rund 30 frische, junge und unverbrauchte Streicherinnen und Streicher. Wir mussten lange suchen, bis wir einen geeigneten Raum im Grenzgebiet für so viele Künstler gefunden hatten und waren sehr froh, als uns die ev.-ref. St. Georgskirche in Weener die Zusage gab. Für alle Kurzentschlossenen: Die Kirche bietet Platz für über 900 Personen, und wir haben noch einige Plätze frei, da es uns eher um den Platz auf der Bühne ging. Schließlich sollen sich die jungen Musiker frei bewegen können und nicht wie die Ölsardinen aneinander kleben!

Mit enormer Spielfreude interpretieren die Nachwuchsmusiker Werke von den alten Meistern. Seit Anfang der Woche proben sie gemeinsam in den Niederlanden. Heute haben sie den Tag auf der schönen, unaussprechlichen niederländischen Insel Schiermonnikoog geprobt und ein sogenanntes Lunchconcert gegeben. Am Vortag gab es bereits einen gemeinsamen Auftritt im schönen Leeuwarden. Zu Beginn des Konzertabends morgen präsentiert das Puchheimer Orchester Werke von Mozart (Divertimento in B-Dur KV 137) und die Dvořák-Serenade in E-Dur op. 22. Nach einer Pause folgen die niederländischen Musikerinnen und Musiker mit Strawinskys Suite Italienne und Schostakowitsch (Streichquartett Nr. 4 in D-Dur op. 83).

Puchheimer Jugendkammerorchester, Foto: privat
Puchheimer Jugendkammerorchester, Foto: privat

Im 1993 gegründeten Puchheimer Jugendkammerorchester (PJKO) musizieren 25 bis 30 junge Streicher, darunter zahlreiche Preisträger des Wettbewerbs „Jugend musiziert“. Ihre Leidenschaft für die Musik führte die Musiker erfolgreich zu zahlreichen Wettbewerben. Auf Konzertreisen entdeckten sie ferne Länder und kamen dabei schon bis nach Japan. Das Repertoire des Orchesters reicht dabei vom Barock bis hin zur zeitgenössischen Musik. Geleitet wird es vom gebürtigen Niederländer Peter Michielsen.

Das Haydn Jeugd Strijkorkest (HJSO) aus Groningen wurde 1989 gegründet und gibt Nachwuchstalenten im Alter zwischen 12 und 19 Jahren ein Podium und die Möglichkeit mit- und voneinander zu lernen. Im Orchesterverband entwickeln die jungen Musiker ihr Können weiter, werden gefördert und üben den „Konzertalltag“. Dazu dienen unter anderem die rund 25 Auftritte, die das Haydn Jeugd Strijkorkest pro Jahr gibt. 15 Konzerte werden in den Niederlanden gespielt, zehn im meist europäischen Ausland. Seit 2005 ist Jan-Ype Nota künstlerischer Leiter und Dirigent des HJSO.

Durch Eduard Heyning, der seit vielen Jahren freundschaftlich mit dem Team der Ostfriesischen Landschaft verbunden ist, kam die Idee zustande, ein Konzert dieser gemeinsamen Tournee der Jugendorchester auch in Ostfriesland stattfinden zu lassen. Wir haben das begeistert aufgegriffen und freuen uns auf alte Bekannte und neue Freunde. Gleichzeitig ist es für uns praktizierte Nachwuchsförderung – ein wichtiger Baustein der Philosophie der Ostfriesischen Landschaft und des künstlerischen Leiters der Gezeitenkonzerte.

Ein Traum von Tönen

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Janka Simowitsch, Foto: Karlheinz Krämer
Janka Simowitsch, Foto: Karlheinz Krämer

Freitagabend. In Bayreuth werden die Wagner-Jubiläumsfestspiele mit Castorfs „Ring“-Inszenierung eröffnet, die sich (nach zwei Abenden) trotz der üblichen Diskussion im Vorfeld als Erfolg herauszustellen scheint.
Freitagabend. In Carolinensiel, einem kleinen Dorf in Ostfriesland, wohin die Touristen ebenfalls wegen der „Atmosphäre“ pilgern, kündigt die Pianistin Janka Simowitsch, Jahrgang 1987, Franz Liszts Konzertparaphrase aus der Oper „Rigoletto“ von Verdi so an: „Wagner, Wagner, Wagner überall Wagner!“ Im Wagner-Verdi Jahr dürfe aber auch der zweite große Opernkomponist nicht zu kurz kommen, sagt sie, und stürzt sich in Liszts Werk, wie sie sich in alle Stücke des Abends so stürzt, dass beinahe der Schweiß von der Decke der kleinen Carolinensieler Deichkirche tropft, so warm ist es im Raum und so intensiv das Spiel.

Eine Welle der Sympathie schlug Janka Simowitsch entgegen, als sie sich freudig und quicklebendig, beinahe außer Atem, beim Publikum vorstellte. Ein dickes Lob und Dankeschön richtete sie gleich an Ulf Brenken, der unsere Abendprogramme schreibt. Sie war ganz begeistert von den so unterhaltsamen wie lehrreichen Begleittexten und meinte, sie müsse jetzt ja gar nichts mehr zu den Stücken sagen. (Weil wir wissen, dass Ulf hier mitliest: ein Dank in aller Öffentlichkeit!)
Absolut locker, spontan und unterhaltsam waren nicht nur ihre Ansagen, sondern vor allem ihr Klavierspiel. „Make up“ heißt ihre erste CD Einspielung, die natürlich nichts mit Schminke und Jungs zu tun, wobei ausschließlich Jungs gespielt werden, die wiederum Stücke von anderen Jungs transkribiert haben. Eine CD voller Klaviertranskriptionen von Busoni bis Liszt und damit eine Liebeserklärung und ein Plädoyer für diese oftmals ziemlich virtuose Gattung, die auch in Carolinensiel quantitativ den Schwerpunkt ausmachte.

Los ging es mit zwei Bearbeitungen von Bach-Chorälen durch Busoni, die mit jeweils drei Minuten Spielzeit schnell dahinhuschten. Danach stand schon der qualitative Schwerpunkt des Abends bevor: Schumanns Phantasie C-Dur op. 17, jenes bedeutende Klavierwerk, das alle Pianisten bewundern und fest in ihrem Repertoire haben, wenn sie nicht einen großen Umweg um Schumann machen (aber wer macht das schon?). Zu Matthias Kirschnereit, einem großen Schumann Verehrer, gesellt sich da zum Beispiel auch Lars Vogt, den dieses Stück seit langem begleitet und der über den ersten Satz (Durchaus phantastisch und leidenschaftlich vorzutragen) sagt: „Und dieses Phantastische muss man eben gleich am Anfang beherzigen, indem man – andersherum formuliert – aus allem Akademischen aussteigt und sich mittreiben, mitreißen lässt von dem gewaltigen Strom, der da auf einen zukommt. Phantasie also im Sonne von Phantastik, Unmöglichkeit, Grenzen sprengend.“

Nun also Janka Simowitsch, die unter anderem bei Matthias Kirschnereit studiert hat. Mitreißend nimmt sie die vollbesetzte Kirche mit in dieses Meisterwerk der romantischen Klavierliteratur, das so phantastisch wie mysteriös, gewaltig und unspielbar ist. Großer Applaus bereits zur Pause.
Aufgrund der unsicheren Wettervorhersage wurde das Catering in das Gemeindehaus verlagert. Nach den heftigen Schauern am Nachmittag eindeutig die richtige Entscheidung, auch wenn das angekündigte Unwetter am Abend zum Glück ausblieb.
Im zweiten Teil des Konzerts standen dann die Transkriptionen im Vordergrund, die los gingen mit Liszts Walzer aus Gounods Oper „Faust“. Hier kommt alle Virtuosität zur Geltung, die Finger rasen ohne Pause auf der ganzen Klaviatur hin und her und man fragt sich wie, man so einen ganzen Abend komplett ohne Noten spielen kann. Die Anschlagszahl (Noten pro Minute) wurde im zweiten Teil eigentlich kaum runtergefahren. In Liszts Phantasie über zwei Motive aus Mozarts „Hochzeit des Figaro“ erreicht sie noch mehr Höhepunkte. Ein wahrer Kraftakt, der bei Janka Simowitsch aber niemals auf das Technische reduziert wird. Riesiger Applaus beendet das Konzert und eine nach allen Seiten hin strahlende Simowitsch bedankt sich überschwänglich bei allen Mitwirkenden, ihrer Gastfamilie, dem Ehrenpräsidenten der Handwerkskammer, Klaus Hippen, und auch unserem Klavierstimmer Tamme Bockelmann, die speziell dieses Konzert  gefördert haben.
Eine Zugabe lässt sie sich nicht nehmen und spielt erst („Damit wir alle ein bisschen runterkommen“) Schumanns „Von fremden Ländern und Menschen“ und dann Liszts „La Campanella“. Was für ein Abend, der für viele am CD Stand endete. Bayreuth? Nee. Carolinensiel.
Für Janka Simowitsch und ihre Mutter, die sie begleitete, ging es am Samstag mit unserem Fahrdienstleiter Uwe Pape weiter nach Groningen, wo schon das nächste Konzert im Partnerfestival Peter de Grote anstand.

Janka Simowitsch, Foto: Karlheinz Krämer
Janka Simowitsch, Foto: Karlheinz Krämer

Musik wie Balsam

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Ulrich Drechsler, Foto: Karlheinz Krämer
Ulrich Drechsler, Foto: Karlheinz Krämer

„Die Ehrlichkeit kommt vor der Authentizität“, hat Ulrich Drechsler mal in einem Interview gesagt. Gestern Abend in Gristede konnte man gleich zu Beginn erleben, was Ehrlichkeit auf der Bühne ausmacht. Es sei ja eigentlich viel zu heiß für ein Konzert, offenbarte Drechsler verschmitzt dem Publikum; man könne an so einem schönen Abend gewiss jede Menge anderer Sachen machen als so ein Konzert zu spielen und zu besuchen. Im großen Raum vom Gut Horn waren einige zu diesem Zeitpunkt (ca. 5 Minuten nach Start) schon wild am Fächern – das Abendprogramm bekam eine neue Funktion. Wobei man gestern eher von Abendnotizen sprechen muss, denn die „Setlist“ des Trios moderierte Drechsler selbst.
Ja, es war warm und voll in Gristede und vielleicht dachte manch ein Besucher auch eher an eine abkühlende Dusche, dennoch waren alle gekommen, um das Ulrich Drechsler Trio zu sehen und hören. Das freute den Musiker natürlich ungemein und er verkündete schwungvoll, dass sie natürlich große Lust hätten, hier und heute das Konzert zu spielen, das mit einer wirklich langen Vorlaufzeit verbunden war. Eigentlich war schon im letzten Jahr ein Gastspiel bei den Gezeiten geplant gewesen, das dann doch verschoben werden musste.
Umso mehr war der gebürtige Schwabe, der seit 20 Jahren in Wien lebt („ein patriotischer Österreicher“, sagt er selbst) froh, dass es in diesem Jahr geklappt hat. Dann zählte er ein und setzte mit seiner Bassklarinette den expressiven Sound des Abends fest, der viele musikalische Winkel ausleuchtete, die so ein intimes Trio ausmacht. Zum Trio gehören Michael Tiefenbacher (Klavier) und Reinhold Schmölzer (Schlagzeug). Zusammen entwickelten sie Stücke, die leichtfüßig, harmonisch und warmherzig daherkommen. Viele Stücke des Abends gibt es auf der neuesten CD „Beyond Words“ zu finden, live entwickeln sie aber eine tiefere Intensität.
„Diese Musik wirkt wie Balsam – ihre Tiefenwirkung offenbart sich beim Hören Stück für Stück und nimmt schließlich voll für sich ein. Wer sich dem Album auf intellektueller Ebene nähern möchte – bitte! Erforderlich ist dies nicht; den Zugang, den Drechsler bietet, und das gelingt erstklassig, funktioniert über das Unterbewusstsein; der Hörer fühlt, dass ihm hier Gutes widerfährt.“ So wird die CD im Pressetext beworben. Solche Pressetexte sind auch eine Kunstform für sich. Dennoch kann man wirklich von „schöner“ Musik sprechen – eine Beschreibung, die Drechsler auch immer antreibt. Die Songs schweben so ein bisschen vor sich hin, fühlen sich auf eine merkwürdige Weise altbekannt und doch neu an und verstecken ihre Komplexität, die nie zum Schaulaufen gerät, im Detail. Ein Klang, den man sich unbedingt einmal anhören muss und eine weitere Facette im breiten Schaffen von Ulrich Drechsler ist.
Wie es sich bei Jazzkonzerten gehört, gab es jede Menge Zwischenapplaus für die einzelnen Soli und Drechsler war sehr bemüht, seinen beiden Musikerkollegen Freiraum zu überlassen, den sie mit pointierten Soli füllten.
Die Pause gab Gelegenheit zur Abkühlung an der zum Abend hin frischer werdenden Luft und man zeigte sich sehr angetan über die wunderbare Atmosphäre auf der Anlage von Gut Horn. Einige lagen auf der Wiese, andere streiften durch den Garten und den kleinen Wald, andere wiederum nutzten das Catering Angebot.
Ulrich Drechsler selbst mischte sich unter das Publikum und half den Besuchern beim CD Kauf („Ich stehe bei den CD’s und werde Sie bei der Suche nach der richtigen CD beraten“, hatte er vor der Pause lachend verkündet). Nach der Pause wurden die begeisterten Jazzfreunde (und alle, die wie ich auf dem guten Weg dahin sind) mit einem langen Set und mehreren Zugaben belohnt. Dass alle durch den einsetzenden Regen zu den Autos laufen mussten, war dann gar nicht so schlimm. Am Ende zeigte sich auch Ulrich Drechsler begeistert. „Wir sollten öfters hier in der Region spielen“, sagte er zum Abschluss. Da hat er Recht!

Ulrich Drechsler Trio (v.l.n.r.: Michael Tiefenbacher, Ulrich Drechsler, Reinhold Schmölzer), Foto: Karlheinz Krämer
Ulrich Drechsler Trio (v.l.n.r.: Michael Tiefenbacher, Ulrich Drechsler, Reinhold Schmölzer), Foto: Karlheinz Krämer

Das zweite Mal Jazz bei den Gezeitenkonzerten

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Ulrich Drechsler, Foto: Wolf-Dieter Grabner
Ulrich Drechsler, Foto: Wolf-Dieter Grabner

Schon morgen gibt es das zweite und damit leider schon letzte Jazzkonzert bei den Gezeitenkonzerten der Ostfriesischen Landschaft. Dann kommt das österreichische Trio um den erfolgreichen Wiener Bassklarinettisten Ulrich Drechsler nach Gristede. Das Gut Horn des Ehepaares Franz/Frers bietet dafür den perfekten Rahmen. Andere bekannte Veranstaltungen dort sind die Landpartie und vor allem das eigene Festival “Gut Horn hör’n“, das in diesem Herbst übrigens zum fünften Mal stattfindet. Wir freuen uns immer wieder aufs Neue, zu Gast sein zu dürfen, gibt es dort doch ein spannendes, stilvolles Ambiente für die Gezeitenkonzerte.

Das andere Jazzkonzert bei den Gezeiten gab es Anfang des Monats. Da gestaltete das Julia Hülsmann Quartett einen fantastischen Abend im Heimathaus Aschendorf, der von Radio Bremen mitgeschnitten wurde. Gerne hätte Arne Schumacher auch das Uli Drechsler Trio mitgenommen, aber leider war der Ü-Wagen nicht frei. Es war ein nettes Telefonat zum richtigen Zeitpunkt, das wir im Frühjahr hatten.

Ulrich Drechsler macht seit vielen Jahren in den unterschiedlichsten Besetzungen Musik. Immer dabei ist seine Klarinette. Er hat unter anderem mit solchen Größen wir dem norwegischen Ausnahmepianisten Tord Gustavsen wunderschöne Balladen auf der CD „Humans & Places“ eingespielt und interpretierte Werke von Thelonius Monk und – man lese und staune – Franz Schubert auf eine neue Art und Weise.

Aus Ulrich Drechlsers eigenen Kompositionen spricht seine Liebe zum Jazz. „Beyond Words“ heißt das neue Album seines Trios aus dem vergangenen Jahr. Über die Worte hinaus trägt seine Musik und vermag, was uns manchmal zu sagen schwer fällt, auszudrücken. Diese Mischung, zu der natürlich nicht zuletzt die behutsame Instrumentierung beiträgt. Zur Klarinette gesellen sich Klavier, wundervoll gespielt von Michael Tiefenbacher, und Schlagzeug (Reinhold Schmölzer) dazu. Reinhold Schmölzer ist bekannt dafür, dass er mit allem, was ihm in die Finger kommt, Musik macht. Dadurch gelingt es ihm immer wieder, Klänge zu erschaffen, die weit über die üblichen Möglichkeiten des Schlagzeugspiels hinausgehen. So gelingt es dem Trio, gemeinsam Intimität, Energie und Leidenschaft gleichermaßen auszudrücken.

Wir sind gespannt auf einen emotional berührenden Abend auf Gut Horn und auf Ulrich Drechsler und sein Trio. Der Frontmann schreibt über seine Kompositionen: „Musik hat die Macht, all das auszudrücken, was Worte nicht zu sagen vermögen. Sie kann das ganze Wesen, das Herz, die Seele und den Geist eines Menschen widerspiegeln. Umso ehrlicher sollte sie sein.“

Grenzen überschreitende Musik in Ditzum

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Paul Komen beim Gezeitenkonzert in Ditzum, Foto: Karlheinz Krämer
Paul Komen beim Gezeitenkonzert in Ditzum, Foto: Karlheinz Krämer

Die beiden grandiosen Tage mit dem Ensemble Allegria wurden eingerahmt von zwei Solokonzerten, die es auf ihre eigene Art und Weise in sich hatten. Nach Julian Steckel spielte am Sonntagnachmittag der Pianist Paul Komen in Ditzum. Komen ist zugleich der künstlerische Leiter des niederländischen Peter de Grote Festival und ein musikalisch umtriebiger Mensch auf beiden Seiten der deutsch-niederländischen Grenze, die den Grenzkonzerten ihren Namen gibt. Er war also für viele aus dem Gezeitenteam quasi ein alter Bekannter. Genauso angenehm und entspannt lief der Tag in Ditzum ab, einer der bislang heißesten Sommertage des Jahres. Ditzum bietet (ähnlich wie Dangast) eine einzigartige Kulisse. Schon die Anreise mit der Fähre verspricht jedes Jahr nicht nur den Touristen bleibende Eindrücke. Im Volksmund wird Ditzum das „Endje van de Welt“ genannt. Bei so gutem Wetter zeigten sich das Dorf und die Ems-Dollart Region „von seiner schönsten Seite“, wie es in allen Touristenführern immer heißt.
Dementsprechend herrschte vor Ort eine urlaubsähnliche Atmosphäre, die auch die arbeitenden Personen, sprich Pianist und Team, ansteckte.
Musikalisch herrschte dagegen ausschließlich Moll-Stimmung, denn alle Stücke vor der Pause standen in Molltonarten. Das Besondere war, dass Komen gleich auf zwei Klavieren spielte, einem Steinway Flügel aus dem Hause Bockelmann und einem Hammerklavier nach Anton Walter von 1800.
Auf dem Hammerklavier spielte er die erste Hälfte Stücke, die an der Grenze der Ausdrucksmöglichkeiten des Instrumentes komponiert sind. Wie Komen in seinen Einführungsworten erklärte, würden Werke erklingen, die auf unterschiedliche Art und Weise in ihrer Zeit Formen sprengten.
Den Anfang machte Haydns Variationen f-Moll, bei denen schnell klar wurde, dass Paul Komen mit historischen Instrumenten seit Jahren vertraut ist und die kleine Klaviatur und die verkürzte Tondauer des Hammerklaviers nie als Einschränkung begreift.
Als letztes Stück vor der Pause stand nach Mozarts Sonate KV 310 a-Moll Beethovens Mondscheinsonate auf dem Programm, diese schwer romantische Fantasiesonate (Sonata quasi una Fantasia). Was fasziniert die Hörer immer noch an dieser Berühmtheit? Für mich ist es der dritte Satz, der nach dem tänzerisch-lieblichen Allegretto (das mir, ehrlich gesagt, noch nie so nahe gegangen ist), unwetterartig über die schwarz-weißen Tasten fegt. Sechzehntel-Noten donnern leise grollend von unten kommend und entladen sich in zwei blitzartige Achtel in sforzando. Ein rauschhaftes Presto agitato folgt.
Diese Sonate zum ersten Mal auf dem Hammerklavier zu hören, war eine besondere Erfahrung. Vor dem Konzert noch ein kurzer Blick in Joachim Kaisers dickes Übersichtswerk zu Beethovens Klaviersonaten geworfen, und diese Sätze gelesen: „Wir haben uns mittlerweile gewöhnt an die Ungewöhnlichkeit der Sonate, als wäre es nicht doch ein Wunder, dass die starren und explodierenden Inständigkeiten dieses cis-Moll-Alptraums eine so klare, sinngefällige Form fanden, ohne irgend etwas von ihrer rhapsodischen Direktheit einzubüßen. Dergleichen komponiert selbst ein Beethoven kein zweites Mal.“ Beim dritten Satz sei das Instrument kurz vorm Zusammenbrechen, scherzte Komen vorher. Grenzen überschreitende Musik eben.
Zur Pause wehte ein kleines Lüftchen über die Kirche, die ein wenig höher liegt. Danach gab es 30 Minuten lang Ausschnitte aus Federico Mompous „Musica Callada“. „Keine Note zu viel und keine Note zu wenig zu schreiben“, war das Anliegen des Katalanen. Im zweiten Teil war ich leider selber nicht in der Kirche, aber zwei Besucher berichteten auf dem Weg zur Fähre, dass ihnen dieser Teil ganz besonders gut gefallen habe und überhaupt die Mischung als Hammerklavier und Steinway einen spannenden Reiz geboten habe.
Um halb acht fuhren die meisten Besucher dann mit der Fähre wieder zurück nach Petkum. Die Sonne brannte da noch. Ein schöner Ausklang eines wiederum höchst musikalischen Wochenendes.

Kirche Ditzum, Foto: Karlheinz Krämer
Kirche Ditzum, Foto: Karlheinz Krämer

Sie sind Helden

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Ensemble Allegria beim Gezeitenkonzert in Horsten, Foto: Karlheinz Krämer
Ensemble Allegria beim Gezeitenkonzert in Horsten, Foto: Karlheinz Krämer

Am Donnerstag in Deutschland gelandet, gestern schon wieder gestartet. Durchgestartet. Musikalisch. In Horsten. Mit der Power von 19 Streichern und der unbedingten Spielfreude junger wilder Künstler setzte das Ensemble Allegria gestern Abend wie ein musikalischer Düsenjet zu einem wahren Höhenflug an.

Die 19 Musiker (siehe Wibkes Blogbeitrag) wurden gegen Nachmittag nach Horsten gefahren. So ein großes Ensemble stellt die Festival-Logistik vor einige Herausforderungen. Alles klappte aber wie am Schnürchen und als die Bühne fertig aufgebaut war, probten die jungen Norweger in der Kirche und waren äußerst zufrieden mit dem Klang. Nichts stand mehr im Weg für einen großen Konzertabend.

Die Kirche in Horsten (Friedeburg) war bis zur Empore gefüllt und auch von Statoil, unserem Hauptförderer, waren viele Konzertbesucher anwesend. Statoil, noch einmal zur Erinnerung, fördert die „Heroes of Tomorrow“ und ermöglicht die beiden Konzerte mit den Allegrias. Große Dankbarbeit muss man da ausdrücken, denn es ist wirklich ein Glück, dass Musiker wie Vilde Frang und das Ensemble Allegria in ostfriesischen Kirchen spielen. Freude und Glück – das sind auch die emotionalen Parameter, die das Zusammenspiel der Allegrias bestimmen. Noch nie konnten wir ein Ensemble erleben, das auch auf der Bühne so viel gemeinsame Freude am Spiel kommunizierte.

Na gut, „Allegria“ bedeutet ja auch Fröhlichkeit und Vergnügen, und da muss man das ja auch verkörpern, kann man skeptisch denken. Man muss dieses Ensemble aber live erlebt haben und sehen, wie da gezwinkert wird, Blickkontakte huschen, immer wieder gelächelt, ja fast gelacht wird, wenn eine Passage mit echter Spielfreude brillant gemeistert wird.

Mit dynamischem Auftrieb (okay, letzter Flugzeugvergleich, versprochen) starteten sie mit Mendelssohn Bartholdys Sinfoniesatz c-Moll für Streichorchester N 13. Von vorne bis hinten war die Kirche gefüllt mit einem absolut klaren, kraftvoll organischen Klang. Der Sound, der genauso gut in einem großen Philharmonie-Saal zu Hause sein kann, war nicht zu laut. Ich hatte erst Bedenken, dass es zu gewaltig klingen würde, aber bei diesem so differenzierten Klangbild kam nirgendwo Zweifel auf.

Mit Griegs Suite „Aus Holbergs Zeit“ ging es weiter. „Melodien für Millionen“ könnte man das Stück auch betiteln, das sich vermutlich auf jeder wohlgefälligen Klassik-Compilation befindet. Die Allegrias spielten, als hätten sie das Werk 24 Stunden vor dem Konzert entdeckt.

Ensemble Allegria, Foto: Karlheinz Krämer
Ensemble Allegria, Foto: Karlheinz Krämer

Nach der Pause ging es mit Mendelssohn Bartholdys Sinfoniesatz h-Moll für Streichorchester weiter. Ab diesem Punkt war wohl auch der letzte Zweifler mitgerissen. Das kurze Abendlied op. 85/12 von Robert Schumann folgte, eine dreiminütige Bearbeitung für Streichorchester, die fast nahtlos, also ohne Pause und Applaus, in die mächtige Kammersinfonie c-Moll op. 110 a von Schostakowitsch überging. Dieses massive, gewaltige und doch zugleich oft zerbrechlich tragische Werk stand am Ende des Konzertes und zeigte, dass die Allegrias nicht nur das fröhlich frische Musizieren drauf haben, sondern alle Schattierungen entwickeln können, die ein erstklassiges Kammerorchester auszeichnet.
Das Stück an sich ist nicht unbekannt. Das Streichquartett Nr. 8 gehört zu den meistgespielten von Schostakowitsch. Die fünf Sätze, die ineinander übergehen, entwickeln eine Dramatik, die den Zuhörer greifbar mit sich zieht. Drei Largo Sätze, ergänzt von einem Allegro molto und einem Allegretto, zeichnen ein einzigartiges musikalisches Gemälde, das von düsteren, brutalen Szenen hin zu melancholisch gravitätischen Hoffnungsschimmern Schostakowitschs kompositorisches Anliegen, das immer von Ironie durchzogen ist, verdeutlichen.
Was immer hängenbleibt, sind die beiden aggressiven Mittelsätze, in denen die Streicher immer wieder wie Gewehrsalven das piano zerstören. Die Widmung „Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“ kann in jedem Takt fast schmerzhaft nachgespürt werden.
In der Bearbeitung für das Orchester (von Rudolf Barschei, dessen Bearbeitung Schostakowitsch gut gefiel), werden diese Motive in ihrer Wirkkraft potenziert. Die Allegrias warfen sich hinein in dieses Stück, mit intensiven Blicken und angestrengten Mienen. Am Ende herrschte nachhallende Stille, wie sie solch eine Darbietung mit sich zieht, als wäre es vorgeschrieben: 10 Takte allgemeines Schweigen. Dann, vorsichtig, ein erstes Klatschen; dann, befreit, riesengroßer Applaus.
Als Zugabe ein befreiender Grieg und noch einmal donnernder Applaus. Die Helden von Morgen spielen im Hier und Jetzt, als gäbe es kein Morgen. Zum Glück tun sie das auch heute Abend noch einmal in Pewsum!

Ensemble Allegria, Foto: Karlheinz Krämer
Ensemble Allegria, Foto: Karlheinz Krämer

Ensemble Allegria gelandet

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Allegria_ProbeDas norwegische Unternehmen Statoil, Mutterkonzern unseres Hauptförderers, der Statoil Deutschland GmbH, zeichnet regelmäßig junge norwegische Künstler mit einem Stipendium, genannt „Heroes of Tomorrow“ (HoT-Talente), aus. Unter anderem sind so beispielsweise schon erfolgreiche Künstlerinnen und Künstler wie Tine Thing Helseth (Trompete), Eldbjørg Hemsing (Violine), Christian Ihle Hadland (Klavier) und Vilde Frang (Violine) als HoT-Talente in Ostfriesland aufgetreten. Im letzten Jahr ging die Auszeichnung, die im Norwegischen “Morgendagens helter” heißt, erstmals an ein ganzes Kammerorchester, nämlich das Ensemble Allegria. Wir freuen uns, sie ein halbes Jahr später bei gleich zwei Gezeitenkonzerten dabei zu haben!

Gestern Morgen um acht Uhr bestiegen die rund zwanzig jungen Musikerinnen und Musiker des Ensemble Allegria im Alter zwischen 20 und 26 Jahren in Oslo ihren Flieger, der sie ca. zwei Stunden später sicher in Hamburg landen lassen sollte. Dort wurden sie bereits von einem Auricher Busunternehmen erwartet, dessen Fahrer dann flugs mit ihnen bei schönstem Wetter nach Ostfriesland fuhr. Nach einem kurzen Check-In im Hotel ging es ab 15:00 Uhr mit den Proben los – sie lösten quasi Julian Steckel im Forum ab. Es war schon sehr interessant, die sommerlich gekleideten und gut gelaunten Norweger zielstrebig ans Werk gehen zu sehen und zu hören. Für Norweger ist ab spätestens Juni Sommer, was für viele bedeutet, dass sie auch bei niedrigeren Temperaturen gern in kurzer Hose und auch barfuß unterwegs sind. Das amüsierte uns natürlich und erinnerte uns an Christian Ihle Hadland, der letztes Jahr bei seinem Gezeitenkonzert auf Gut Horn das Publikum begeisterte. Allerdings empfing Aurich sie wirklich mit angenehmen Temperaturen.
Ingvild Ranum, eigentlich selbst Violinistin, aber diesmal als Managerin des Ensembles dabei, ist eine sehr angenehme und kompetente Ansprechpartnerin, mit der wir gemeinsam das Programm noch einmal besprochen und beschlossen haben, sowohl das Gezeitenkonzert in Horsten als auch das in Pewsum um zwei zusätzliche Stücke zu erweitern. Das Publikum in Norwegen ist offenbar nicht so geduldig. Denen wäre die ursprünglich geplante Konzertdauer von anderthalb Stunden inklusive Pause gerade recht, war die einhellige Meinung von Maria Angelika Carlsen als Konzertmeisterin und Ingvild. Wir waren da skeptisch, ging unser kürzestes Konzert doch mindestens bis 22:00 Uhr. Im Endeffekt waren alle zufrieden: Das Ensemble, weil es noch mehr von seinem Können zeigen darf, wir, weil wir die Erwartungen unsere Konzertgäste hinsichtlich der Länge befriedigen können. Außerdem mag ich die Auswahl der Werke beider Gezeitenkonzerte in Pewsum und Horsten sehr. Die Holberg-Suite von Grieg ist zwar eines der bekanntesten norwegischen Stücke – sie zu hören, ist aber immer wieder eine Freude. Und auch der Sonate für Streicher op. 79 von Johan Kvandal kann ich einiges abgewinnen. Wenn ich dann noch die Spielfreude der jungen Frauen und Männer sehe und höre, bin ich gespannt auf ihre Darbietungen heute und morgen Abend.

Ensemble Allegria
Ensemble Allegria

Buttforde – Nächste Ausfahrt: Olymp

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Julian Steckel, Foto: Karlheinz Krämer
Julian Steckel, Foto: Karlheinz Krämer

Am vergangenen Samstag blätterten einige Mitglieder vom neophon ensemble durch das diesjährige Programmheft der Gezeitenkonzerte. Nach einigen gutheißenden Blicken (Ah ja, Lars Vogt!), interessiertem Lesen (Aha, Nekkepenns!) gab es Hochachtung (Oh ja, Julian Steckel!). Leuchtende Augen überall, wenn der Name Steckel fällt. Shootingstar, Preise-Abräumer (ECHO Klassik, ARD Preisträger usw.), Cello-Verführer – mit 30 Jahren trägt der junge Künstler (der auch schon Hochschulprofessor in Rostock ist) so einige Titel mit sich im Handgepäck herum.

Ein unwissenschaftlicher Seitenblick: Wenn der Wikipedia Artikel für ein Solowerk für Cello von Bach so lang ist, dass man eine Weile runterscrollen kann, muss das ja schon was heißen, denkt man. (Vor allem, wenn viele Artikel zu Klassikstücken noch sträflich kurz sind).
Bachs Stücke sind „tiefgründig, harmonisch und polyphon“ schrieb der Spiegel einmal. Der berühmte Cellist Pau Casals ging soweit, die Suiten als die Quintessenz von Bachs Schaffen zu bezeichnen, „und Bach selbst ist die Quintessenz aller Musik“. Es gibt ja Menschen, die ihr Leben lang ausschließlich Bach hören sollen…

Die Suiten für Violoncello sind für die Cellisten also das, was für die Pianisten das Wohltemperierte Klavier ist: ein Dauerbrenner. Für das musikalische (Über-)Leben unersetzlich. „Auf dem Olymp der Cellisten“ – so überschrieb Ulf Brenken das gestrige Abendprogramm.

Nicht auf dem Olymp, sondern erst einmal auf der Bühne in Buttforde gestaltete nun Julian Steckel weltgewinnend sein Gezeitenkonzert. Die Rahmenbedingungen waren wie geschaffen: super Wetter, ostfriesische Stille und endlose Weite in Buttforde. Buttforde? Frage an die weise Dame Wikipedia: „Buttforde ist ein Haufendorf (Wer jetzt kichert, verliert). „Ein Haufendorf ist ein geschlossen bebautes Dorf mit unregelmäßigen Grundstücksgrundrissen und häufig unterschiedlich großen Höfen“.
Die Kirchengemeinde hatte sich extra beworben und nach gründlicher Prüfung war es eine Freude, auch diesen Klangraum für die Gezeiten neu zu entdecken und zu bespielen.

Auch NDR Kultur war sofort auf dieses Konzert angesprungen und zeichnete es gestern auf. Abgesehen von einem kurzen Fiepen, das wohl von einem Hörgerät ausging, hat die Aufzeichnung super geklappt und man versicherte uns, dass am Ende nur die Musik zu hören sei. Der Sendetermin wird noch bekanntgegeben.

Das Konzert an sich war schlicht atemberaubend. So konzentriert, perfekt, wohlüberlegt, über alles Technische erhaben, spielen wohl nur wenige diese Suiten (Dazu reicht schon ein Besuch bei Youtube). Beeindruckt und bewegt verließen wir die Kirche zur Pause.
Am Ende gab es noch Autogramme, unter anderem für eine 10-jährige Konzertbesucherin, die selber Cello spielt und ganz hingerissen war. Ein Platz in der ersten Reihe war frei geworden und so hatte sie den besten Blick auf die rasanten Finger.

Um Mitternacht endete der Tag für uns und Julian Steckel entspannt mit einem gemeinsamen Bier in Aurich und meiner Erkenntnis, dass es für so ein Cello Solo-Konzert keinen besseren Musiker gibt als Julian Steckel. Ein Leben lang Bach? Wenn Julian Steckel das Cello übernimmt, bin ich dabei!

Julian Steckel beim Gezeitenkonzert in Buttforde, Foto: Karlheinz Krämer
Julian Steckel beim Gezeitenkonzert in Buttforde, Foto: Karlheinz Krämer

Wir bedanken uns bei unseren Festivalförderern