Arle – Ausnahmezustand bei den Gezeitenkonzerten

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Sharon Kam  nach ihrem Gezeitenkonzert in Arle, Foto: Karlheinz Krämer
Sharon Kam nach ihrem Gezeitenkonzert in Arle, Foto: Karlheinz Krämer

Der entscheidende Satz (gesprochen, nicht vertont!) fiel ganz am Ende. Tief hatten Sharon Kam (Klarinette), ihr Bruder Ori Kam (Bratsche) und Matan Porat (Klavier) in der Repertoirekiste für diese ungewöhnliche Besetzung gewühlt und ein wunderbares Programm zusammengestellt. Aber: für die Zugabe blieb kein Stück übrig. Wie kann man das ändern? Ganz einfach, man lässt sich ein Stück schreiben. So scherzte Sharon Kam; aber so selbstbewusst, dass alle Komponisten mit den Ohren zucken müssen.
Matan Porat, selber renommierter Komponist, dürfte jedenfalls aufgehorcht haben. „Nächstes Jahr“, sagte Sharon Kam, käme man dann mit dem neuen Stück wieder. Das ist doch eine Ansage. Dreimal hat sie in den letzten zwei Jahren in Ostfriesland gespielt. Zwei davon bei den Gezeitenkonzerten der Ostfriesischen Landschaft. Ein leeres Versprechen für die schnelle Publikumsbefriedigung hört sich anders an. Wir dürfen also sehr gespannt sein.

Ori Kam, Foto: Karlheinz Krämer
Ori Kam, Foto: Karlheinz Krämer

Nach dem riesigen Applaus wollten sich die Musiker aber trotzdem beim Publikum bedanken und spielten noch einmal den schnellsten Satz von Max Bruchs „Acht Stücken“. Der Applaus von 380 Besuchern brandete in der ausverkauften großen Kirche Arle auf.
Begonnen hatte das Konzert ähnlich spektakulär mit Mozarts Kegelstatt-Trio. Klarinette, Viola, Klavier – das ist nicht gerade eine geläufige Zusammensetzung. Vor allem die Bratsche und die Klarinette stechen sich für gewöhnlich aus. Das sagte Sharon Kam am Ende auch: Eigentlich bestehe diese Besetzung quasi aus Klavier, Bratsche, Bratsche. Und sagt: „Ich bin eine Bratsche“. Aha, Klavier und zwei Bratschen also. Wie gut, dass es nicht so klang. Sonst hätte man nicht Sharon Kams einzigartig weichen, schwingenden Klang vernommen, der schon letztes Jahr in Reepsholt die Leute so verzaubert hatte, dass sich bereits zur Pause eine lange Autogramm-Schlange bildete.

Es ist immer wieder erstaunlich, die Gezeitenkonzerte mit den Nebenstars aus der Instrumentenfamilie mit zu erleben. Wie wunderbar auch diese in Erscheinung treten können, zeigt Mozarts Kegelstatt-Trio, eine 22 minütige Liebeserklärung an seine drei Lieblingsinstrumente. Das Besondere an diesem Werk ist (neben der Besetzung) die absolute Gleichwertigkeit der Instrumente, die in einen Dialog treten, in dem niemand vorlaut oder dominierend auftritt. Einander ebenbürtig und „voller gegenseitiger Achtung und Zuneigung“ (Ulf Brenken) entwickeln die drei ein inniges Gespräch, mit einem wehmütigen Grundton, schattig verhangen. Wobei „entwickeln“ das falsche Wort ist. Denn auch die formale Ebene ist so ungewöhnlich, dass eine thematische Entwicklung im ersten Satz kaum stattfindet. An manchen Stellen scheint die Musik fast auf der Stelle zu treten, die drei interessieren sich plötzlich nicht mehr für Form und Zeit(-geist) und verweilen in ihrem eigenen Kosmos. 1786, Neue Innigkeit. 2013, immer noch berührend. Und gibt es eine bessere Zusammensetzung als die Geschwister Kam für dieses Stück? Wobei auch Matan Porats Spiel in der Pause hochgelobt wurde. Ein fantastisches Trio.
Inniger, romantischer, phantastischer, geheimnisvoller wurde es in Schumanns „Märchenerzählungen“, vier knappen Stücken. Auch hier wird das Trio wieder zum Experimentierfeld und die drei Musiker haben das Publikum da längst für sich eingenommen.

Nach der Pause (deutlich frischer Wind auf dem Kirchhügel) ging die Entdeckungsreise weiter. Frisch wirkte auch Kurtágs Hommage an Schumann, beseelt von allen modernen Kompositionsmöglichkeiten, inklusive Hand im Klavierkörper.
Achja. Zeit für das Fashion-Intermezzo. A propos frisch. Mode und Musik haben ja manchmal doch miteinander zu tun. Sharon Kam trug ein strahlend grünes Kleid. Kam sehr gut an. Nichts gegen schwarz, aber etwas Farbe ist immer gut. Auch das sollte hier mal geschrieben werden. Intermezzo ende.
Mit Bruchs „Acht Stücken“ für diese Besetzung endete der Abend fulminant, noch ganz in der Romantik des 19. Jahrhunderts versunken, wunderbare Charakterstücke, mal schwermütig, dann wieder ausufernd wild. In Arle erlebten wir einen Abend voller Ausnahmen und drei echten Ausnahmekünstlern. Und wer weiß, im nächsten Jahr gibt es dann eine Uraufführung bei den Gezeiten?!

Sharon bei der Probe vor dem Gezeitenkonzert in Arle, Foto: Karlheinz Krämer
Sharon bei der Probe vor dem Gezeitenkonzert in Arle, Foto: Karlheinz Krämer

Gezeitenkonzert mit Sharon Kam, Matan Porat und Ori Kam in Arle

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Kam_Porat_KamEin besonderer Leckerbissen wartet in der bezaubernden Kirche in Arle auf die Besucher der Gezeitenkonzerte 2013. Nachdem die Echo-Preisträgerin Sharon Kam im letzten Jahr bei Ihrem Auftritt zusammen mit Stefan Kiefer in Reepsholt so begeistert von Ostfriesland und vor allem dem interessierten, herzlichen Publikum war, hatte sie Matthias Kirschnereit schon im Anschluss an dieses Gezeitenkonzert mitgeteilt, dass sie gerne auch in diesem Jahr wieder dabei wäre. Nun bin ich gespannt auf diese Besetzung, denn in Arle spielen am 6. August 2013 um 20:00 Uhr neben Sharon Kam (Klarinette) der vielseitig begabte Komponist und Pianist Matan Porat und ihr Bruder und Bratschist Ori Kam. Es war nicht ganz so einfach, einen Termin für dieses Konzert zu finden, da alle drei sehr gefragte Künstler sind. Dadurch ist auch der Ausreißer bei den Wochentagen – es wurde ein ungewohnter Dienstag – entstanden. Die drei Künstler freuen sich ausdrücklich auch auf den Spielort, die Kirche in Arle, die allein durch ihr imposantes Äußeres – auf einer Warft tronend – und die zahlreichen inneren Werte (mehr in Kürze) auftrumpft. Zu hören sind dort Mozarts Kegelstatt-Trio, Schumanns Märchenerzählungen und – sicherlich für manchen eine Entdeckung – György Kurtágs “Hommage à Robert Schumann op. 15 d” und die Acht Stücke für Klarinette, Viola und Klavier op. 83 von Max Bruch.

Sharon Kam, Foto: Karlheinz Krämer
Sharon Kam, Foto: Karlheinz Krämer

Sharon Kam
Sie ist eine der führenden Klarinettistinnen weltweit und konzertiert regelmäßig in unterschiedlichen Besetzungen – gerne z. B. mit dem Pianisten Lars Vogt, aber auch mit großen Orchestern wie dem London Symphony Orchestra, in der Wigmore Hall, Concertgebouw Amsterdam oder der Alten Oper Frankfurt. Als begeisterte Kammermusikerin arbeitet Sharon Kam mit Künstlerfreunden wie Heinrich Schiff, Christian Tetzlaff, Antje Weithaas oder Tabea Zimmermann zusammen. Leidenschaftlich gerne spielt sie Kammermusik, aber auch moderne Werke und Jazz. Sie wurde bereits zweimal mit dem ECHO Klassik als „Instrumentalistin des Jahres“ ausgezeichnet: 1998 für ihre Weber-Aufnahme mit dem Gewandhausorchester Leipzig unter Kurt Masur und im Jahr 2006 für ihre CD mit dem MDR Sinfonieorchester und Werken von Spohr, Weber, Rossini und Mendelssohn. Regelmäßig gibt sie Meisterkurse, so z. B. im Anschluss an das Gezeitenkonzert bei der Internationalen Sommerakademie ISA in Wien.

Matan Porat, Foto: Steve Riskind
Matan Porat, Foto: Steve Riskind

Matan Porat
Der Pianist und Komponist Matan Porat studierte bei Emanuel Krasovsky, Maria João Pires und Murray Perahia, wurde mit dem Prime Minister Award für seine kompositorische Arbeit ausgezeichnet und konnte sich damit als Komponist bei Ruben Seroussi und George Benjamin weiterbilden. Als begeisterter Kammermusiker ist er gern gesehener Gast bei den Festivals in Marlboro, Ravinia, Verbier, Salzburg und Delft sowie beim Jerusalem International Chamber Music Festival. Er konzertiert unter anderem mit dem Ysaye und dem Jerusalem Quartett, Dorothea Röschmann, Kim Kashkashian, Emmanuel Pahud und Mitgliedern des Guarneri Quartetts. Als Solist konzertierte Matan Porat mit dem Chicago Symphony Orchestra und allen großen Symphonie- und Kammerorchestern in Israel. Außerdem spielte er in Konzertsälen wie der Carnegie Hall in New York, dem Auditorium du Louvre in Paris, dem Barbican in London und der Alten Oper Frankfurt. Sein vielseitiges Konzertrepertoire umfasst ebenso die Goldberg Variationen und die 6 Partiten für Solo-Klavier von Johann Sebastian Bach wie die Sonaten von Charles Ives ein. Ein sehr schönes Porträt von Ilona Oltuski lesen Sie hier.

Ori Kam, Foto: Felix Broede
Ori Kam, Foto: Felix Broede

Ori Kam
Von der New York Times für seine ” faszinierende Bühnenpräsenz” gelobt, spielte der Bratscher Ori Kam als Solist bereits auf einigen der bedeutendsten Bühnen der Welt. Nach seinem Debüt mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta im Alter von 16 Jahren wurde er sofort wieder engagiert. Seitdem spielte er mit allen bedeutenden Orchestern Israels, dem National Symphony Orchestra im Kennedy Center in Washington DC, dem New Jersey Symphony Orchestra im neuen New Yorker Performing Arts Center, der Manhattan Philharmonia, dem Bronxville Symphony Orchestra, sowie der Sinfonia Varsovia. Ori Kam gab zahlreiche Recitals in den USA, Europa und Israel. Als ein begeisterter Kammermusiker ist Ori Kam auch Begründer und künstlerischer Leiter der Israel Chamber Music Society. Er spielte als Mitglied des Whitman String Quartet sowie mit zahlreichen anderen Künstlern wie Isaac Stern, Itzhak Perlman, Pinchas Zukerman, Gil Shaham, Paul Neubauer, Bernard Greenhouse, Lynn Harrel, David Geringas und dem Saint Lawrence String Quartet. Ori Kam ist gern gehörter Künstler bei den Festivals in Verbier, Tangelwood, Aspen, Santa-Fe, Schleswig-Holstein, La Jolla, Chamber Music Northwest, der Schubertiade, dem Jerusalem Chamber Music Festival und er war regelmäßig Gast beim Bahnhof Rolandseck Musik Festival in Bonn um nur einige zu nennen.

Wir bedanken uns bei unseren Festivalförderern