Eigentlich sollte hier ein humorvoller Text stehen. Nach dem Gezeitenkonzert am Sonntag im Schloss Gödens mit dem Trio Machiavelli wollte ich, als bekennender Fan der britischen Serie Downton Abbey, das Konzert aus der ironischen Perspektive eines adeligen Besuchers schildern. Die einzigartige Kulisse, die einen in eine andere Zeit versetzt, bietet das an. Als wir am Sonntag nach Hause fuhren, gespannt auf das Fußball-Finale und beseelt von der tollen Atmosphäre und dem guten Konzert, wussten wir jedoch noch nichts vom tragischen Tod von Karl-Georg Graf von Wedel. Die Zeitungen berichteten am Montag.
Gezeitenblog
Vier Sterne
Wenn sich der Fußball schon bei allen Adjektiven der Kunst bedient („virtuoser Ballkünstler“, „filigraner Techniker“), holen wir doch mal einen der strapaziertesten Begriffe der letzten Woche zurück in die Kunstrezension: das „Team“. Und alles was dazu gehört: „Team-Arbeit, Team-Zusammenhalt, Team-Geist, Team-Denken usw. usf..
Kammermusik ist Team-Arbeit, wer weiß das nicht? Aber in Zeiten des besonderen Team-Denkens kann man das gerne mal betonen. Kratzt das Violoncello blöd rum, kann die Violine nichts Schönes leisten. Sind die Einsätze, Pausen, Dynamik, Melodienführungen nicht gemeinsam abgestimmt, wird’s nichts beim Wettbewerb. Und leider hat auch die Kunst ihre Turniere und Wettkämpfe.
Dampfnudels Hochzeit
Gutes Essen ist auch eine hohe Kunst. Felix Mendelssohn Bartholdy muss ein Genießer dieser Kunst gewesen sein. Immerhin lautete die Abmachung mit Heinrich Baermann und dessen Sohn Carl: „Carl kocht Felix’ Leibgericht Rahmstrudel und Dampfnudel, dafür komponiert Felix den beiden ein Concertino für Klarinette, Bassetthorn und Klavier.“ (zitiert nach Brenken, Ulf: Abendprogramme. Das Gesamtwerk. Band 14. Hamburg 2014)
So ist das komponierte Werk auch mit allerlei kulinarischen Geschmacksverstärkern versehen. Die Widmung lautet: „Die Schlacht bei Prag! Ein großes Duett für Dampfnudel oder Rahmstrudel, Clarinett und Bassetthorn.“
Das Spätwerk
Ein älterer Herr im gepflegten Anzug betritt vorsichtig die Bühne von Gut Horn in Gristede. Er setzt sich nicht in einen Sessel, wie man es einem 83-Jährigen wünschen würde. Nein, er setzt sich auf den Klavierhocker, dieses rückenlehnenlose kleine Holzding, auf dem er in seinem Leben wohl mehr Zeit verbracht hat als auf normalen Stühlen, geschweige denn in gemütlichen Sesseln. Dieser ältere Herr braucht es nicht gemütlich. Dafür ist er scheinbar noch zu gerne unterwegs, mit seinen Vorträgen über die Musik, die Literatur, und alles, was zwischen diesen beiden Künsten liegt, die er immer begeistert aufgesogen hat und die er (zumindest die Musik) auf der höchsten Weltbühne vorgetragen hat. Poetisch wolle er auch anfangen, sagt er und verbindet Musik und Sprache in einer fantasievollen Annäherung an Beethovens Spätwerk. Da ist von hohen und tiefen Landschaften die Rede, von den stärksten Gefühlen, die nur Beethoven in ihrer ganzen Komplexität und Einfachheit, Erhabenheit und Profanität künstlerisch ausdrücken konnte. Ehe man sich versieht, steckt man mittendrin im Denken dieses älteren Herren, dessen unglaubliche Lebens- und Wirkungsgeschichte ihn wie eine Aura begleitet.
St.-Cosmas und Damian-Kirche Bockhorn
Die Zwillingsbrüder Cosmas und Damian lebten um 300 nach Christi in Syrien als Ärzte, die kranke Menschen auf wundersame Weise und kostenlos heilten. Dabei bekehrten sie ihre dankbaren Patienten zum Christentum. Weder Wasser noch Feuer noch Pfeile konnten sie töten, schließlich jedoch starben sie den Märtyrertod durch Enthauptung. Sie wurden daraufhin die Schutzheiligen der Ärzte und Apotheker. Diesen Heiligen wurde die Kirche bei ihrer Erbauung geweiht.
Wie die Zeit vergeht
Heute ist schon Mittwoch. Morgenabend sind wir schon bei Gezeitenkonzert Nr. 13 – mit Alfred Brendel. Dem großen Alfred Brendel, Pianist, der mit einem Vortrag über Beethovens letzte drei Klaviersonaten inkl. Musikbeispielen vom Band und per Hand für Roger Willemsen und Olena Kushpler eingesprungen ist. Das ist uns eine große Ehre! Olena wünschen wir, dass ihr Armbruch schnell und gut verheilt, sodass sie bald wieder richtig in die Tasten greifen kann.
Streifzug: Landschaftspicknick Holter Hammrich
Der Streifzug zum Konzert in Backemoor entführte die Besucher der Gezeitenkonzerte am 3. Juli in den Holter Hammrich. Dieser ca. 230 ha große Entlastungspolder der Leda mit Feuchtwiesen, großen Flachgewässern und naturnahen Flächen hat sich in den letzten Jahren zu einem ganz besonderen Vogelparadies entwickelt. Für das Landschaftspicknick wurde mit einer Sondergenehmigung des NLWKN ein besonders schöner Aussichtspunkt auf dem Deich in der Nähe der Vogelbeobachtungswand ausgewählt. Von hier aus hatten die Gäste bei herrlichstem Sommerwetter einen fantastischen Blick über die Polderflächen. Nach dem Motto “Landschaft schmeckt” wurden von Gunda Heyen außer einer gemütlichen Tasse Tee, Krintstuut und selbstgebackenen Stachelbeerkuchen nach Rezept von Tini Peters auch Produkte der nur 2 km entfernten Schatteburger Schafskäserei aufgetischt: Hart- und Frischkäse, Lammsalami und Schafsmilchlikör.
→Weiterlesen… “Streifzug: Landschaftspicknick Holter Hammrich”
Atemlos
In einem Anfall von spontaner Verzweiflung über die ewig dahinsiechende Zeit und das Vergängliche allen Seins, diesen Scheiß des Daseins, dachte ich, dass dieser Stumpfsinn nur mit der Schönsten aller sogenannten Künste zu bekämpfen sei, der MUSIK, und ging ins Gezeitenkonzert, um vor der allgegenwärtigen Dummheit und Helene Fischer zu fliehen, und hörte mir Kammermusik an; Dvorák, Smetana, Janácek, Kodály, die Auswahl programmierte vorab eine Reise in den Osten, der so unendlich weit weg war, und als Florian Donderer, der große Konzertmeister der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, molto esspressivo das heftig schöne Thema aus dem ersten Satz der romantischen Stücke op. 75 spielte, war es zum Dahinschmelzen, jawohl, zum Dahinschmelzen, das sei an dieser Stelle auch allen David Garrett Fans gesagt, das echte Dahinschmelzen funktioniert nur mit überzeugend dargebotener Musik, und was Florian Donderer aus diesen so schlicht volkstümlich böhmischen Melodien machte, war fern alles Platten; als Beweis reichten die letzten zwei Takte des Larghetto, das die seufzend schöne slawische Romantik im kaum hörbaren „d“ in ppp beschließt, und wie Kirschnereit und Donderer allein nur die Dimensionen dieser letzten beiden Takte im maximalen Piano ausloteten,
„Kannst du auch Beethovens fünftes Lied?“
Freitagmorgen, halb 9. Uwe Pape und ich drücken die Schulbank. Thema der Stunde: Musikunterricht mit Lars Vogt. Mit uns sitzen rund 40 Schülerinnen und Schüler der Auricher Lambertischule und der Grundschule Leezdorf in der Aula des Ulricianums, das uns freundlicherweise aufgenommen hat. „Wer spielt denn schon ein Instrument?“, fragt Lars Vogt und jede Menge Finger flitzen hoch. Gitarre und Klavier sind die Gewinner. Aber auch eine junge Geigerin ist da.
„Rhapsody in School“, das von Lars Vogt gegründete Projekt, bei dem Musiker ihren Job und Leidenschaft für Musik jungen Schülern vermitteln, ist kein normaler Musikunterricht.
Bach und wir
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Wenig später schuf Bach die Goldberg-Variationen. Noch ein wenig später tauchte ein junger Kanadier seine langen Finger ins heiße Wasser, spielte summend die Aria und veränderte die Musikwelt.
So weit, so altbekannt.
Wenn Lars Vogt die Goldberg-Variationen spielt, kann man das trockene Non Legato von Glenn Gould und dessen musikalische Exzentrik ruhig mal vergessen. In Backemoor betritt Lars Vogt die Bühne, beginnt ohne Zögern die auf dem gesamten Erdball bekannte Aria und taucht erst 70 Minuten später wieder auf. Was ist in der Zwischenzeit passiert?