Wenn es ein Paradies gibt, dann sei er sich sicher, dass dort Mozart gespielt werde. So eröffnete Matthias Kirschnereit am vergangen Freitag den reinen Mozart-Konzertabend bei den Gezeitenkonzerten der Ostfriesischen Landschaft in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden. Und auch wenn es sehr pathetisch klingt, hatte dieser Abend tatsächlich etwas Himmlisches.
Die Deutsche Kammerakademie Neuss unter der Leitung von Frank Beermann war bereits zum zweiten Mal zu Gast bei den Gezeitenkonzerten und auch die Fagottistin Rie Koyama, die als Solistin mit Virtuosität und Hingabe brillierte, ist bei unserem Konzertpublikum bei weitem keine Unbekannte mehr. Von Matthias Kirschnereit natürlich ganz zu schweigen.
Start der fünften Saison der Gezeitenkonzerte am 24. Juni 2016
Ausverkaufte Emder Johannes a Lasco Bibliothek mit gut 430 Zuhörern – war klar. Einleitendes von Landschaftspräsident Rico Mecklenburg – war klar. Schließlich eine kurze Rede des musikalischen Leiters Matthias Kirschnereit – war auch klar. Dazwischen – und jetzt kommt’s – ein Grußwort des Niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil, in diesem Jahr Schirmherr der Gezeitenkonzerte, der seinen Arbeitstag in Emden mit dem Besuch des Auftaktkonzertes abrundete. Und seine Worte haben Gewicht: Die erfolgreich in ihre fünfte Saison gestarteten Gezeitenkonzerte „sind ein Komet am niedersächsischen Festivalhimmel.“ Die künstlerischen Leistungen wären beeindruckend, die kulturelle Vielfalt in „seinem“ Land sei ohnehin besonders. Er sei gerne hier in Emden und freue sich nun auf die Musik. Dafür vielen Dank – und damit kommen wir zur inhaltlichen Hauptangelegenheit. →Weiterlesen… ““Ein Komet am niedersächsischen Festivalhimmel””
Während man noch in der Emder Johannes a Lasco Bibliothek seinen Platz sucht, erklingt von allen Seiten Musik. Das Münchener Kammerorchester unter der Leitung von Konzertmeister Daniel Giglberger wartet bereits an der Seite auf den Startschuss und stimmt die Instrumente. Klassisch modern geht es los: Sándor Verres’ „Vier transsylvanische Tänze“ (1944) basieren zwar auf ungarischen Volksliedern, lösen sich aber davon und finden eine eigene Sprache. Max Regers „Lyrisches Andante“ wird vom Kammerorchester sanft ausgebreitet. Ein Traum, der zeigt, dass das Ensemble eines der profiliertesten in Deutschland ist und dass in der Bibliothek ein Orchester immer noch die Beste aller Besetzungen ist. →Weiterlesen… “Sunday, sweet Sunday”
Wenn sich der Fußball schon bei allen Adjektiven der Kunst bedient („virtuoser Ballkünstler“, „filigraner Techniker“), holen wir doch mal einen der strapaziertesten Begriffe der letzten Woche zurück in die Kunstrezension: das „Team“. Und alles was dazu gehört: „Team-Arbeit, Team-Zusammenhalt, Team-Geist, Team-Denken usw. usf..
Kammermusik ist Team-Arbeit, wer weiß das nicht? Aber in Zeiten des besonderen Team-Denkens kann man das gerne mal betonen. Kratzt das Violoncello blöd rum, kann die Violine nichts Schönes leisten. Sind die Einsätze, Pausen, Dynamik, Melodienführungen nicht gemeinsam abgestimmt, wird’s nichts beim Wettbewerb. Und leider hat auch die Kunst ihre Turniere und Wettkämpfe.
Wir kennen sie in eleganten Abendroben oder dem kleinen Schwarzen, in schickem Anzug mit oder ohne Krawatte: Die Musiker und Musikerinnen der Gezeitenkonzerte sind bei ihren abendlichen Auftritten im besten Sinne des Wortes geschniegelt und gestriegelt. Doch bei der Öffentlichen Generalprobe zum Abschlusskonzert in der Emder Johannes a Lasco Bibliothek konnte man am Sonntag die Künstler mal von einer ganz anderen Seite erleben – leger und locker in jeder Hinsicht, gelöst und scheinbar ohne Lampenfieber.
“Ist das jetzt ein Techniker oder ein Musiker?”, fragte sich ein Besucher und beobachtete einen Typen mit lockigem Haar in weißem T-Shirt und kurzer Hose, der eine Geige zur Bühne trug. Und ja, es war ein Musiker und zwar von der Potsdamer Kammerakademie im, dem Wetter angemessenen, Sommeroutfit. Auch Matthias Kirschnereit, der künstlerische Leiter der Gezeitenkonzerte der Ostfriesischen Landschaft, ließ es am Vormittag eher entspannt angehen – trug ein bunt geblümtes Hemd zum Drei-Tage-Bart.
Ja, bei der Generalprobe ist eben alles ein wenig anders. Und gerade das machte wohl für 350 Gäste und auch für das Team des Festivals den Reiz aus. Hier darf man auch schon mal aufstehen und das stille Örtchen aufsuchen, wenn es pressiert. Zumindest ohne böse Blicke zu ernten. Und auch die Schale mit Hustenbonbons eines bekannten Schweizer Herstellers fehlte gänzlich. Die, so erzählte ein Paar aus dem Kölner Raum, würden bei Klassikkonzerten in der Domstadt vor Beginn gereicht, um potenziell kratzende Hälse zu besänftigen.
Bereits im vergangenen Jahr hatte sich die Öffentliche Generalprobe als Geheim-Tipp erwiesen.Und das mit Recht. Doch so entspannt und leger die Atmosphäre am Vormittag auch war, so konzentriert und fokussiert waren die Musiker trotz allem auf der Bühne. So wurde während der Probe an Details von Mozart’schen und Fils’schen Werken gefeilt, mit einem netten Nebeneffekt für das Publikum. Das erhaschte bei dieser Gelegenheit nämlich nicht nur einen Blick hinter die Kulissen des Konzertbetriebes, sondern kam auch noch in den Genuss manchen Satz gleich mehrfach zu hören. Ein für alle angenehmer und spannender Vormittag, der erst gegen 14:00 Uhr endete.
Das hat man dann davon: Kaum zeigt man Interesse am persönlichen Besuch des Emder Abschlusskonzertes, schon wird man als harmloser Programmhefttexter der Gezeitenkonzerte in der Konzertpause verpflichtet, einen Blogbeitrag zu verfassen. Macht man natürlich gern, denn Wibke Heß und Simon Hopf können einen auf so ‘ne bestimmte Art überzeugen…
Morgens also Autofahrt von Hamburg nach Emden. Um 11 Uhr war „Öffentliche Generalprobe“ in der originellen Spielstätte, der Johannes a Lasco Bibliothek. Kaum zu glauben, dass dieses Mahnmal bis 1995 vor sich hin rottete, bevor es zu diesem Schmuckkästchen werden konnte! Knapp zweihundert Besucher nutzten die Gelegenheit des kurzfristig angesetzten Zusatzangebotes und erlebten eine konzertähnliche Durchspielprobe mit anschließenden Korrekturen. Das abendliche Konzert und auch schon die Generalprobe wurden von NDR Kultur mitgeschnitten, was auch vom Publikum gesteigerte Disziplin erforderte. Knapp drei Stunden (inklusive Pause) dauerte die Vormittagsveranstaltung, was nicht alle Besucher bis zum Ende durchhalten mochten. Manche aus eher bizarren Gründen wie ablaufende Parkuhren…
Abends durfte ich dann für meine Freikarte (Danke, Wibke!) beim Vorbereiten des Konzertraumes helfen, später sogar hilfsweise Eintrittskarten kontrollieren und das Programmheft verteilen. (Ein seltsames Gefühl, wenn der eigene Text so unter die Konzertbesucher gelangt!)
Hilko Gerdes, Vizepräsident der Ostfriesischen Landschaft, hielt eine kurze, fast schon launige Eröffnungsrede aus Anlass des Abschlusskonzertes. Dann legten sie los: Das etwa dreißig Musikerinnen und Musiker starke Kurpfälzische Kammerorchester (KKO) aus Mannheim mit seinem Dirigenten Ivo Hentschel. Sie spielten zu Beginn einen „unechten“ Salieri – weil der die Sinfonia „Veneziana“ aus eigenen Werken gar nicht selbst zusammengebastelt hatte.
Matthias Kirschnereit, in einer Person Künstlerischer Leiter der Gezeitenkonzerte, Familienvater mit Wohnsitz in Hamburg und weltweit tätiger Pianist, obwohl es ihn wirklich nur einmal gibt, hatte es sich nicht nehmen lassen, im Abschlusskonzert als Solist des Mozart-d-Moll-Konzertes aufzutreten. Es war faszinierend zu hören, wie sich Solist und KKO nach nur wenigen Proben aufeinander eingestellt hatten, um auf hohem Niveau miteinander zu musizieren. Zum Dank für den anschließenden Riesenapplaus des begeisterten Publikums bot Matthias Kirschnereit eine Zugabe von Claude Debussy, dessen 150. Geburtstag in dieses Jahr fällt: „Mouvement“ aus den „Images“, ein sehr motorisch angelegtes Virtuosenstück, „weil alles wie bei den Gezeitenkonzerten auch zukünftig in Bewegung bleibt“, wie sich der Künstlerische Leiter dazu einleitend äußerte.
Das war aber noch nicht alles – denn nach der schön langen Konzertpause, in der die „Haasen“, wie man das Haase Catering hier augenzwinkernd zu bezeichnen pflegt, mit ihrem tollen Angebot an Essen und Trinken für beste Auffrischung nicht nur des Flüssigkeitshaushalts sorgten, hielt Matthias Kirschnereit eine kleine Ansprache, in der er seine Position zur aktuellen Festivalsituation in Ostfriesland darstellte und sich unter dem Beifall der 450 Konzertbesucher eine „friedliche Koexistenz“ mit dem Musikalischen Sommer in Ostfriesland wünschte, da über allem die Kunst, speziell die Musik, und ihre Weitergabe stehen möge.
Danach traten das KKO und Ivo Hentschel erneut auf den Plan. Diesmal spielten sie die eher unbekannte „Prager Sinfonie“ (Nr. 38) von Mozart, die mich auch aufgrund ihrer Meisterschaft in jeder Sekunde (und das ist wörtlich gemeint!) ungeheuer beeindruckt hat. Das lag natürlich zu einem großen Teil auch an den Interpreten, die den Schlusssatz noch eine Spur schneller angingen als bei der vormittäglichen Generalprobe. Alle fünf Wiederholungen innerhalb der drei Sätze wurden gespielt! Als musikliebender Zuhörer kann ich nur meinen größten Respekt zollen und mich bedanken für einen spannenden Konzertabend, der das Publikum hörbar (weil unhörbar) konzentriert in seinen Bann zog.
Matthias Kirschnereit, der sich die „Prager“ auch anhörte, machte einen mehr als zufriedenen Eindruck, so dass mein einheimischer Sitznachbar mir zuflüsterte: „Der fühlt sich wohl hier!“
Der ausdauernde Beifall „zwang“ Ivo Hentschel und das KKO zu einer Zugabe: Man spielte den Presto-Schlusssatz aus Mozarts Sinfonie Nr. 28 (KV 200), der wie ein glitzerndes Feuerwerk die diesjährigen Gezeitenkonzerte beendete. Tatsächlich ein Abschlusskonzert vom Feinsten!
Nachts also Autofahrt zurück nach Hamburg. Und bei aller Liebe für die schönste Stadt der Welt, die ich eigentlich nicht ohne Not zu verlassen bereit bin, habe ich mich doch während der Rückfahrt bei dem Gedanken ertappt, dass es leider ein bisschen zu weit ist, um mal eben im faszinierenden Ostfriesland aufzukreuzen und diese besonderen Menschen dort noch öfter zu besuchen. Das hat man dann davon…
Ulf Brenken
Anmerkung von Wibke: Der Text wurde nicht verändert; ich habe mir lediglich erlaubt, die Fotos hinzuzufügen!