Kontrastprogramm

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Latica Honda-Rosenberg (Violine), Matthias Kirschnereit (Klavier) und Nicola Jürgensen (Klarinette) beim Gezeitenkonzert in Remels, Foto: Karlheinz Krämer
Latica Honda-Rosenberg (Violine), Matthias Kirschnereit (Klavier) und Nicola Jürgensen (Klarinette) beim Gezeitenkonzert in Remels, Foto: Karlheinz Krämer

„Kontraste“! Endlich! Nach 25 Konzerten, gefühlten 250 Nennungen in Pressetexten, Rezensionen, Radiobeiträgen, Programmheften und persönlichen Gesprächen erklang gestern in der Kirche Remels endlich das Stück, das dieses Jahr als Motto der Gezeitenkonzerte dient: Béla Bartóks „Kontraste“ für Violine, Klarinette und Klavier Sz 111 (1938). Kontraste – das ist natürlich ein sehr weit gefasstes Motto. Zwischenzeitlich war man bei so vielen Kontrasten schon so weit, dass man Aronal und Elmex als Kontrastprogramm einstufte. Das Schöne ist aber, dass man aus der Perspektive des Kontrast-Begriffes die Konzerte aus einer ganz bestimmten Perspektive sieht. Wenn sich Künstler, Instrumente, Werke, Spielorte miteinander kontrastieren, entwickelt so ein Festival eine ganz eigene Dynamik.


In Remels gab es also endlich das entscheidende Stück zu hören. Der Spannungsbogen war aber geschickt gewählt. Matthias Kirschnereit, Latica Honda-Rosenberg (Violine) und Nicola Jürgensen (Klarinette) spielten das Stück erst ganz am Ende eines beeindruckenden Konzertes, das in seiner Dichte und Besonderheit nachhallen wird.

Nach der spaßigen Sause mit den Klazz Brothers & Cuba Percussion im Park der Gärten am Donnerstag, konnte man sich keinen schärferen (nun ja, ein paar mal geht das Wort noch…) Kontrast wünschen als dieses anspruchsvolle Programm, das ein kleines Juwel für Liebhaber und Kenner war. Bei sommerlichen, aber durchaus angenehmen Temperaturen lag der Schwerpunkt in Remels auf europäischen, hauptsächlich französischen Stücken und einer wechselnden Besetzung. Die drei Musiker stellten das Programm so zusammen, dass beide Künstlerinnen einmal vom Flügel begleitet wurden, aber auch alle drei Solo spielten. Erst zum Bartók betraten sie zu dritt die Bühne. Mit insgesamt neun Stücken war das Programm dementsprechend voll und abwechslungsreich.

Matthias Kirschnereit und Nicola Jürgensen, Foto: Karlheinz Krämer
Matthias Kirschnereit und Nicola Jürgensen, Foto: Karlheinz Krämer

Wir erinnern uns: letztes Jahr war „Entdeckungen“ das Thema der Gezeitenkonzerte. Entdecken konnte man in Remels viel. Für mich war es eindeutig die Sonate von Camille Saint-Saëns für Klavier und Klarinette Es-Dur op. 167, mit ihrer französisch-schönen Raffinesse, die beide Instrumente (und Künstler) zum Leuchten brachte. Für viele waren sicher Latica Honda-Rosenberg und Nicola Jürgensen eine Entdeckung. Nicht nur glänzten sie im Zusammenspiel mit Matthias Kirschnereit, sondern spielten sie hingebungsvoll ihre Solopartien. Honda-Rosenberg hatte sich ein eher unbekanntes Stück ausgesucht: Eugène Ysaÿes Sonate e-Moll op. 27 Nr. 4, die mit ihren drei Sätzen (Allemande – Sarabande – Finale) ganz im Zeichen des großen Vorbildes Bach steht. Die Geigerin raste über die Saiten und legte die ganze Polyphonie offen, die sich in den Sonaten des Belgiers mit romantischen Stimmungsbildern vermischt. Bravo-Rufe nach dem dritten Stück. Nicola Jürgensen schloss sich da direkt an. Igor Strawinskys Drei Stücke für Klarinette solo schlagen in eine ähnliche Kerbe. Spannend vermischen sich die Traditionen und Jürgensen darf alles aus dem Instrument rausholen, das ja so viel mehr kann als Wiener Klassik und Romantik. Bravo-Rufe nach dem vierten Stück. Vor der Pause spielten Geige und Klavier das erste von drei Debussy Werken, die Sonate für Violine und Klavier g-Moll. Ich kürze es mal ab: Bravo-Rufe nach dem fünften Stück.

Zur Pause gab es die übliche Erfrischung und Stärkung beim Catering und ähnlich wie in Bad Zwischenahn herrschte eine sommerlich entspannte Stimmung vor der Kirche. Man war sich einig: das Programm, die Künstler, die Kirche, das Wetter – es stimmte alles. Und man durfte sich ja noch auf die „Kontraste“ freuen, was die Pause zu einer Mischung aus wunderbarem Innehalten und Gespanntsein auf den zweiten Teil machte.

Lauer Sommerabend mit entspannter Stimmung in der Pause des Gezeitenkonzertes in Remels, Foto: Karlheinz Krämer
Lauer Sommerabend mit entspannter Stimmung in der Pause des Gezeitenkonzertes in Remels, Foto: Karlheinz Krämer

Der fing mit sechs Liedbearbeitungen für Klarinette und Klavier von Reynaldo Hahn an. Sechs höchst zarte Lieder, die bei aller anspruchsvollen französischen Musik aus dem 19. und 20. Jahrhundert die einfachsten und doch schönsten Melodien des Abends zauberten. Glauben Sie mir: In der Bank vor mir flüsterte ein Besucher ein „Bravo“ nach dem sechsten Stück.

Matthias Kirschnereit machte mit zwei kürzeren Debussy Stücken weiter, eines aus den Préludes I, eines aus den Images I. Nach seinen Solokonzerten in den letzten zwei Jahren freue ich mich immer auf seinen Debussy und bin fest davon überzeugt, dass neben Schubert, Schumann und Mozart der französische Komponist auf seine Bestenliste gehört. Vielleicht wäre es mal an der Zeit für einen großen Soloabend mit noch mehr Debussy? Jedenfalls: Bravo-Rufe nach dem achten Stück.

Matthias Kirschnereit und Latica Honda-Rosenberg, Foto: Karlheinz Krämer
Matthias Kirschnereit und Latica Honda-Rosenberg, Foto: Karlheinz Krämer

Einen „Sprung ins Ungewisse aus dem gewußt Unerträglichen” nannte Bartok seine Übersiedelung in die USA. Wie schwer es für ihn war, dort Fuß zu fassen, wissen wir. Gute Freunde unterstützen ihn, boten ihm ihre Freundschaft an. Er bedankte sich bei ihnen mit einem Stück, das bis heute zum spannendsten gehört, was diese Besetzung bietet. Die beiden Freunde waren Benny Goodman und der Geiger Joseph Szigeti, denen er das Werk widmete. Die Musik, die „punktuell untermischt mit magyarisiert jazzoiden Elementen” (Heinrich Lindlar) ist, steht genau wie Benny Goodman zwischen der klassischen und der jazzigen Welt. Doch das Fundament ist die ungarische Folklore, die kompositorisch auf höchstem Niveau zur großen Kunst verwandelt wird. Ein Stück, das volle Konzentration erfordert und alle drei Musiker zu virtuosen Passagen zwingt (oder einlädt). In Remels bedeutete das 18 Minuten lang künstlerische Hochleistung von einem wunderbaren Trio, das man gerne noch weiter in dieser Besetzung gehört hätte.

Ach ja, Bravo-Rufe nach dem letzten Stück!

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