Wer kennt das nicht: man steht auf dem Flughafen oder dem Bahnhof und wird von einem Gleis oder Gate zum nächsten geschickt. Überall wimmelt, trippelt, schiebt und drängt es sich, der Puls schlägt im Sechzehntel-Takt. Maria Baptist, Pianistin, Komponistin und Kopf des Maria Baptist Trios, hat aus dieser Szenerie eine Komposition gemacht. Für sie war es das Gate 29 am Flughafen in Paris, das sie beinahe verzweifeln ließ, denn überall um sie herum pulsierte das absolute schnelle und moderne Leben. Nur das Gate 29 ließ sich nicht finden.
Lauschte man den schnellen Rhythmen, die sie mit ihrem Trio am Sonnabend in der Kulturscheune beim Schloss Lütetsburg spielte, entwickelte sich eine kleine Sogwirkung. Das Stück ist der beste Soundtrack zu diesem speziellen Abschnitt beim Reisen, die sie immer wieder inspirieren, wie Baptist erzählte. Die Tonsequenzen werden immer dichter, man spürt wie die Musik sucht und weg geschickt wird, immer schneller rennt, Bass und Schlagzeug sich anfeuern bei der Suche nach dem richtigen Ort. Dann ist es plötzlich versöhnlich. Das Gate 29 scheint gefunden zu sein. Ich frage mich öfters, wie Jazzer auf ihre Titel kommen, aber hier konnte es einleuchtender kaum sein. Titel und Musik passen perfekt zusammen und die Inspirationsquelle leuchtete aus der Musik heraus.
Zum Glück war die Atmosphäre beim Gezeitenkonzert des Maria Baptist Trio das genaue Gegenbild zum Thema des Songs. In Lütetsburg war man längst angekommen. Die meisten mit dem Auto, denn die großen Terminals der Welt sind hier meilenweit weg. Vorher flanierte man in dem ausladenden Park, beobachtete die Hochzeitgesellschaft, bediente sich beim Catering. In der Kulturscheune des Schlosses, wo einst die Pferdeställe waren, spielte Baptist ab 20 Uhr gemeinsam mit Ralph Graessler (Bass) und Roland Schneider (Schlagzeug) bei geöffneten Türen. Jazzmusik passte bestens in diese Mischung aus rustikalem Pferdestall und royalem Wasserschloss.
Maria Baptist kündete einige Stücke an, überließ aber die Musik größtenteils ihrem Lauf. So verschmolzen die Stücke zu einem großen Fluss, der immer wieder die Richtung, die Geschwindigkeit und Lautstärke wechselte. Der Stil des Trios orientiert sich am Sound der klassischen Jazz Trios mit Klavier, Bass und Schlagzeug. Baptists lyrisch-gesangliches Spiel erinnerte an ihre großen Vorbilder Keith Jarrett und Bill Evans. Kantig, modern-komplex und unübersichtlich wurde es aber nie. Ihre Stücke sind durchkomponiert, haben Motive und Themenblöcke. Ein wenig poppig und mit klarer Melodie darf es also auch mal zugehen, wie „Cloud Nine“ bewies.
Zur ausgedehnten Pause hatte sich auch das Wetter entspannt und aus der schwülen und drückenden vor-gewitterlichen Luft entwickelte sich ein frisches Lüftchen. Wieder ein Abend zum Draußen sitzen. In Ostfriesland nicht selbstverständlich. Ein Abend durchaus vergleichbar mit Ulrich Drechslers Gezeitenkonzert im letzten Jahr in Gristede. Auch in Lütetsburg blieben einige Zuhörer nach der Pause einfach draußen sitzen. Bei den geöffneten Türen ließ sich die Musik weiterhin gut hören. Großen Zwischenapplaus erhielten der Bassist und Schlagzeuger für ihre Solo Improvisationen. Überhaupt brachte das Zusammenspiel der drei Musiker erst die Kompositionen von Baptist zum Leuchten. Weil man nicht zu sehr einem bestimmten Stil verpflichtet war, entwickelte sich ein abwechslungsreiches Konzert, das von groovigen und schnellen Passagen bis zu melancholisch verweilenden Augenblicken alles bot, was ein zeitgenössisches Jazz-Trio ausmacht. Ob Maria Baptist auch von der Reise nach Lütetsburg inspiriert worden ist? Wir sind es auf jeden Fall!