Freitagabend. In Bayreuth werden die Wagner-Jubiläumsfestspiele mit Castorfs „Ring“-Inszenierung eröffnet, die sich (nach zwei Abenden) trotz der üblichen Diskussion im Vorfeld als Erfolg herauszustellen scheint.
Freitagabend. In Carolinensiel, einem kleinen Dorf in Ostfriesland, wohin die Touristen ebenfalls wegen der „Atmosphäre“ pilgern, kündigt die Pianistin Janka Simowitsch, Jahrgang 1987, Franz Liszts Konzertparaphrase aus der Oper „Rigoletto“ von Verdi so an: „Wagner, Wagner, Wagner überall Wagner!“ Im Wagner-Verdi Jahr dürfe aber auch der zweite große Opernkomponist nicht zu kurz kommen, sagt sie, und stürzt sich in Liszts Werk, wie sie sich in alle Stücke des Abends so stürzt, dass beinahe der Schweiß von der Decke der kleinen Carolinensieler Deichkirche tropft, so warm ist es im Raum und so intensiv das Spiel.
Eine Welle der Sympathie schlug Janka Simowitsch entgegen, als sie sich freudig und quicklebendig, beinahe außer Atem, beim Publikum vorstellte. Ein dickes Lob und Dankeschön richtete sie gleich an Ulf Brenken, der unsere Abendprogramme schreibt. Sie war ganz begeistert von den so unterhaltsamen wie lehrreichen Begleittexten und meinte, sie müsse jetzt ja gar nichts mehr zu den Stücken sagen. (Weil wir wissen, dass Ulf hier mitliest: ein Dank in aller Öffentlichkeit!)
Absolut locker, spontan und unterhaltsam waren nicht nur ihre Ansagen, sondern vor allem ihr Klavierspiel. „Make up“ heißt ihre erste CD Einspielung, die natürlich nichts mit Schminke und Jungs zu tun, wobei ausschließlich Jungs gespielt werden, die wiederum Stücke von anderen Jungs transkribiert haben. Eine CD voller Klaviertranskriptionen von Busoni bis Liszt und damit eine Liebeserklärung und ein Plädoyer für diese oftmals ziemlich virtuose Gattung, die auch in Carolinensiel quantitativ den Schwerpunkt ausmachte.
Los ging es mit zwei Bearbeitungen von Bach-Chorälen durch Busoni, die mit jeweils drei Minuten Spielzeit schnell dahinhuschten. Danach stand schon der qualitative Schwerpunkt des Abends bevor: Schumanns Phantasie C-Dur op. 17, jenes bedeutende Klavierwerk, das alle Pianisten bewundern und fest in ihrem Repertoire haben, wenn sie nicht einen großen Umweg um Schumann machen (aber wer macht das schon?). Zu Matthias Kirschnereit, einem großen Schumann Verehrer, gesellt sich da zum Beispiel auch Lars Vogt, den dieses Stück seit langem begleitet und der über den ersten Satz (Durchaus phantastisch und leidenschaftlich vorzutragen) sagt: „Und dieses Phantastische muss man eben gleich am Anfang beherzigen, indem man – andersherum formuliert – aus allem Akademischen aussteigt und sich mittreiben, mitreißen lässt von dem gewaltigen Strom, der da auf einen zukommt. Phantasie also im Sonne von Phantastik, Unmöglichkeit, Grenzen sprengend.“
Nun also Janka Simowitsch, die unter anderem bei Matthias Kirschnereit studiert hat. Mitreißend nimmt sie die vollbesetzte Kirche mit in dieses Meisterwerk der romantischen Klavierliteratur, das so phantastisch wie mysteriös, gewaltig und unspielbar ist. Großer Applaus bereits zur Pause.
Aufgrund der unsicheren Wettervorhersage wurde das Catering in das Gemeindehaus verlagert. Nach den heftigen Schauern am Nachmittag eindeutig die richtige Entscheidung, auch wenn das angekündigte Unwetter am Abend zum Glück ausblieb.
Im zweiten Teil des Konzerts standen dann die Transkriptionen im Vordergrund, die los gingen mit Liszts Walzer aus Gounods Oper „Faust“. Hier kommt alle Virtuosität zur Geltung, die Finger rasen ohne Pause auf der ganzen Klaviatur hin und her und man fragt sich wie, man so einen ganzen Abend komplett ohne Noten spielen kann. Die Anschlagszahl (Noten pro Minute) wurde im zweiten Teil eigentlich kaum runtergefahren. In Liszts Phantasie über zwei Motive aus Mozarts „Hochzeit des Figaro“ erreicht sie noch mehr Höhepunkte. Ein wahrer Kraftakt, der bei Janka Simowitsch aber niemals auf das Technische reduziert wird. Riesiger Applaus beendet das Konzert und eine nach allen Seiten hin strahlende Simowitsch bedankt sich überschwänglich bei allen Mitwirkenden, ihrer Gastfamilie, dem Ehrenpräsidenten der Handwerkskammer, Klaus Hippen, und auch unserem Klavierstimmer Tamme Bockelmann, die speziell dieses Konzert gefördert haben.
Eine Zugabe lässt sie sich nicht nehmen und spielt erst („Damit wir alle ein bisschen runterkommen“) Schumanns „Von fremden Ländern und Menschen“ und dann Liszts „La Campanella“. Was für ein Abend, der für viele am CD Stand endete. Bayreuth? Nee. Carolinensiel.
Für Janka Simowitsch und ihre Mutter, die sie begleitete, ging es am Samstag mit unserem Fahrdienstleiter Uwe Pape weiter nach Groningen, wo schon das nächste Konzert im Partnerfestival Peter de Grote anstand.