Das Ensemble Kaleidophonia liebt es, mit den Elementen zu spielen. Und die sind zahlreich. Zeit und Raum, Klang und Stoff, Holz, Metall und Feuer – sie alle spielten eine Rolle beim Gezeitenkonzert des Ensembles im Heimathaus Aschendorf. Nach ihrem eindrucksvollen Grenzkonzert in Flachsmeer 2012 zog das Ensemble auch in diesem Jahr wieder interessierte Besucher an, die mal etwas anderes als die üblichen Mozart- und Beethoven-Stücke hören wollten. Sie wurden vor allem im ersten Teil des Konzerts mit Stücken belohnt, die vermutlich die wenigsten schon einmal gehört haben.
Im immer wieder gemütlichen Heimathaus, das sich groß rausgeputzt hatte, führte Klarinettist Robert Löcken zunächst ins Programm ein. Er erklärte kurz die einzelnen Stücke, von denen das erste sicherlich als das Motto des Abends zu verstehen war: „Confluences“ von Ursula Mamlok, einer zeitgenössische Komponistin. Confluences, das bedeutet „Zusammenflüsse“. Ein gutes Motto, das sich wie ein Leitmotiv durch das Programm zog. Es ginge, so Löcken, um den Zusammenfluss der Elemente, die quasi in einem großen Trichter sprudeln und perlen würden, um sich dann zu ganz neuen Kombinationen zu verbinden. In dem Stück von Mamlok steckten kulturelle, ästhetische und musikalische Elemente aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Im gerade mal zehn Sekunden währenden ersten Satz wurde deutlich, dass sich hier so einiges vermischen würde. Was das Stück zugleich als erstes Stück anbot, war die Präsentation der Instrumente. Neben Löcken schmissen sich Masako Jashima-Löcken an der Violine, Sven Forsberg am Violoncello und Christof Hahn am Flügel in die neue Musik. Das Schöne war, dass alle Instrumente ihre eigenen kleinen Momente zugedacht bekamen, wie beispielsweise das Cello im Grazioso.
Ergänzt wurden die vier Musiker von der in Nanjing geborenen Lin Chen. Die junge Chinesin bediente sämtliche Schlaginstrumente und präsentierte sich mit einem wunderbaren Solo-Auftritt. Auch dieser war grenzüberschreitend, modern und gewagt, ohne die Geschichte zu vergessen. Verwoben wurde Bachs Prélude aus der berühmten Suite für Violoncello solo Nr. 1 mit Eckhard Kopetzkis Three Movements for a Solo Dancer aus dem Jahr 2003. Das Experiment klappte bravourös. Auf dem Marimbaphon erhielt das Prélude eine ganz eigene Schattierung, strahlte aber klar und deutlich. Dann kam, zumindest auf dem Papier, der harte Schnitt und plötzlich war man im Jahr 2003, merkte es aber eigentlich kaum. Hier klappte der angekündigte Zusammenfluss perfekt. Fast fließend übersprang man Jahrhunderte und landete beim Hannoveraner Kopetzki und seinen tänzerischen Kleinoden. Großen Eindruck hinterließ das zweite Stück mit dem Titel „Dance on a Shattered Mirror“, das mit eingängiger Melodik und rhythmischem Wirbelwind beinahe die Füße mit wippen ließ. Großer Applaus.
Höhepunkt des gesamten ersten Teils war aber ohne Frage eine Uraufführung. Das Ensemble hat es sich auch auf die Kappe geschrieben, neue Kompositionen auf die Bühne zu bringen. Vor den Augen und Ohren der anwesenden Yijie Wang wurde deren Werk „Jin-Mu-Huo-Emulsion“ aufgeführt. In Anlehnung an die vielfältigen Klänge der traditionellen chinesischen Peking-Oper erhielt jeder Musiker gleich mehrere Aufgaben. Neben ihren Instrumenten übernahmen sie weitere Schlaginstrumente. Ein absolut spannendes Stück, das zwischen elegischen Streichermelodien und knallharten perkussiven Stimmungen changierte. Man spürte den chinesischen Einfluss, fühlte sich aber auch an europäische Musik erinnert. Hoffentlich war es nicht das letzte Mal, dieses Stück zu Gehör zu bekommen.
Zur Pause schlenderte man über das interessante Gelände des Heimathauses, kaufte sich ein frisch gebackenes Brot, informierte sich über die verschiedenen Gebäude oder genoss einfach den lauen Sommerabend. Die lockere Atmosphäre ging auch von den Musikern aus, die sich gerne dazu gesellten. Der private Kontakt wird gepflegt in der zweiten Heimat des in Leer geborenen Robert Löcken.
Nach der Pause ging es mit Olivier Messiaens „Quartett für das Ende der Zeit“ weiter, dem bekanntesten Werk des Abends. Schon die Entstehungsgeschichte ist abenteuerlich und tragisch, ist es doch während der Kriegsgefangenschaft unter härtesten Bedingungen entstanden. Über acht Sätze hinweg wird das Ende und zugleich der Anfang der Zeit gewaltig (und doch immer wieder berührend zart) inszeniert. Die Welt bricht zusammen, wie es die Offenbarung des Johannes beschreibt, und auch bei Messiaen rasen die sieben Trompeten. Gleichzeitig verkündet Messiaen eine neue Ewigkeit, die nicht erst mit dem Ende der Welt einsetzt. Deutlich wird es in den zahlreichen Solopartien. Berührend waren Löckens „Abgrund der Vögel“ und Sven Forsbergs „Lobpreis der Ewigkeit Jesu“, und am Ende, wenn die Violine und das Klavier die Unsterblichkeit Jesu lobten, versagte der Atem. Die Geige verstummte in den höchsten Tönen. Ausatmen nicht vergessen. Dann großer Applaus.