Am Donnerstag in Deutschland gelandet, gestern schon wieder gestartet. Durchgestartet. Musikalisch. In Horsten. Mit der Power von 19 Streichern und der unbedingten Spielfreude junger wilder Künstler setzte das Ensemble Allegria gestern Abend wie ein musikalischer Düsenjet zu einem wahren Höhenflug an.
Die 19 Musiker (siehe Wibkes Blogbeitrag) wurden gegen Nachmittag nach Horsten gefahren. So ein großes Ensemble stellt die Festival-Logistik vor einige Herausforderungen. Alles klappte aber wie am Schnürchen und als die Bühne fertig aufgebaut war, probten die jungen Norweger in der Kirche und waren äußerst zufrieden mit dem Klang. Nichts stand mehr im Weg für einen großen Konzertabend.
Die Kirche in Horsten (Friedeburg) war bis zur Empore gefüllt und auch von Statoil, unserem Hauptförderer, waren viele Konzertbesucher anwesend. Statoil, noch einmal zur Erinnerung, fördert die „Heroes of Tomorrow“ und ermöglicht die beiden Konzerte mit den Allegrias. Große Dankbarbeit muss man da ausdrücken, denn es ist wirklich ein Glück, dass Musiker wie Vilde Frang und das Ensemble Allegria in ostfriesischen Kirchen spielen. Freude und Glück – das sind auch die emotionalen Parameter, die das Zusammenspiel der Allegrias bestimmen. Noch nie konnten wir ein Ensemble erleben, das auch auf der Bühne so viel gemeinsame Freude am Spiel kommunizierte.
Na gut, „Allegria“ bedeutet ja auch Fröhlichkeit und Vergnügen, und da muss man das ja auch verkörpern, kann man skeptisch denken. Man muss dieses Ensemble aber live erlebt haben und sehen, wie da gezwinkert wird, Blickkontakte huschen, immer wieder gelächelt, ja fast gelacht wird, wenn eine Passage mit echter Spielfreude brillant gemeistert wird.
Mit dynamischem Auftrieb (okay, letzter Flugzeugvergleich, versprochen) starteten sie mit Mendelssohn Bartholdys Sinfoniesatz c-Moll für Streichorchester N 13. Von vorne bis hinten war die Kirche gefüllt mit einem absolut klaren, kraftvoll organischen Klang. Der Sound, der genauso gut in einem großen Philharmonie-Saal zu Hause sein kann, war nicht zu laut. Ich hatte erst Bedenken, dass es zu gewaltig klingen würde, aber bei diesem so differenzierten Klangbild kam nirgendwo Zweifel auf.
Mit Griegs Suite „Aus Holbergs Zeit“ ging es weiter. „Melodien für Millionen“ könnte man das Stück auch betiteln, das sich vermutlich auf jeder wohlgefälligen Klassik-Compilation befindet. Die Allegrias spielten, als hätten sie das Werk 24 Stunden vor dem Konzert entdeckt.
Nach der Pause ging es mit Mendelssohn Bartholdys Sinfoniesatz h-Moll für Streichorchester weiter. Ab diesem Punkt war wohl auch der letzte Zweifler mitgerissen. Das kurze Abendlied op. 85/12 von Robert Schumann folgte, eine dreiminütige Bearbeitung für Streichorchester, die fast nahtlos, also ohne Pause und Applaus, in die mächtige Kammersinfonie c-Moll op. 110 a von Schostakowitsch überging. Dieses massive, gewaltige und doch zugleich oft zerbrechlich tragische Werk stand am Ende des Konzertes und zeigte, dass die Allegrias nicht nur das fröhlich frische Musizieren drauf haben, sondern alle Schattierungen entwickeln können, die ein erstklassiges Kammerorchester auszeichnet.
Das Stück an sich ist nicht unbekannt. Das Streichquartett Nr. 8 gehört zu den meistgespielten von Schostakowitsch. Die fünf Sätze, die ineinander übergehen, entwickeln eine Dramatik, die den Zuhörer greifbar mit sich zieht. Drei Largo Sätze, ergänzt von einem Allegro molto und einem Allegretto, zeichnen ein einzigartiges musikalisches Gemälde, das von düsteren, brutalen Szenen hin zu melancholisch gravitätischen Hoffnungsschimmern Schostakowitschs kompositorisches Anliegen, das immer von Ironie durchzogen ist, verdeutlichen.
Was immer hängenbleibt, sind die beiden aggressiven Mittelsätze, in denen die Streicher immer wieder wie Gewehrsalven das piano zerstören. Die Widmung „Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“ kann in jedem Takt fast schmerzhaft nachgespürt werden.
In der Bearbeitung für das Orchester (von Rudolf Barschei, dessen Bearbeitung Schostakowitsch gut gefiel), werden diese Motive in ihrer Wirkkraft potenziert. Die Allegrias warfen sich hinein in dieses Stück, mit intensiven Blicken und angestrengten Mienen. Am Ende herrschte nachhallende Stille, wie sie solch eine Darbietung mit sich zieht, als wäre es vorgeschrieben: 10 Takte allgemeines Schweigen. Dann, vorsichtig, ein erstes Klatschen; dann, befreit, riesengroßer Applaus.
Als Zugabe ein befreiender Grieg und noch einmal donnernder Applaus. Die Helden von Morgen spielen im Hier und Jetzt, als gäbe es kein Morgen. Zum Glück tun sie das auch heute Abend noch einmal in Pewsum!