Regen, nichts als Regen. Den ganzen Tag schon. Nach dem furiosen Eröffnungskonzert schien es eher trübe weiterzugehen. Nach dem Aufbauen waren alle bereits sehr durchnässt und wärmten sich mit heißem Kaffee im warmen und trockenen Gut Horn auf. Eigentlich schade, dass man diesen wundervollen Ort nicht bei Sonnenschein genießen konnte. Vielleicht ja im nächsten Jahr?
Schneller als man denkt, beginnt der Einlass, alsbald ist es 20:00 Uhr, und die Musik kann losgehen. Begonnen wurde mit einem Duett von Mozart in G-Dur, eigentlich für Violine und Viola, heute in einer Fassung mit Violoncello. Wunderschön, keine Frage. Mozart kommt immer gut. Doch zufällig spiele ich dieses Stück auch gerade mit einer Bratschistin, mehr oder weniger erfolgreich. Aber trotzdem: Da musste doch noch mehr kommen! →Weiterlesen… “Kometeneinschlag im Gut Horn”
Ein älterer Herr im gepflegten Anzug betritt vorsichtig die Bühne von Gut Horn in Gristede. Er setzt sich nicht in einen Sessel, wie man es einem 83-Jährigen wünschen würde. Nein, er setzt sich auf den Klavierhocker, dieses rückenlehnenlose kleine Holzding, auf dem er in seinem Leben wohl mehr Zeit verbracht hat als auf normalen Stühlen, geschweige denn in gemütlichen Sesseln. Dieser ältere Herr braucht es nicht gemütlich. Dafür ist er scheinbar noch zu gerne unterwegs, mit seinen Vorträgen über die Musik, die Literatur, und alles, was zwischen diesen beiden Künsten liegt, die er immer begeistert aufgesogen hat und die er (zumindest die Musik) auf der höchsten Weltbühne vorgetragen hat. Poetisch wolle er auch anfangen, sagt er und verbindet Musik und Sprache in einer fantasievollen Annäherung an Beethovens Spätwerk. Da ist von hohen und tiefen Landschaften die Rede, von den stärksten Gefühlen, die nur Beethoven in ihrer ganzen Komplexität und Einfachheit, Erhabenheit und Profanität künstlerisch ausdrücken konnte. Ehe man sich versieht, steckt man mittendrin im Denken dieses älteren Herren, dessen unglaubliche Lebens- und Wirkungsgeschichte ihn wie eine Aura begleitet.
„Die Ehrlichkeit kommt vor der Authentizität“, hat Ulrich Drechsler mal in einem Interview gesagt. Gestern Abend in Gristede konnte man gleich zu Beginn erleben, was Ehrlichkeit auf der Bühne ausmacht. Es sei ja eigentlich viel zu heiß für ein Konzert, offenbarte Drechsler verschmitzt dem Publikum; man könne an so einem schönen Abend gewiss jede Menge anderer Sachen machen als so ein Konzert zu spielen und zu besuchen. Im großen Raum vom Gut Horn waren einige zu diesem Zeitpunkt (ca. 5 Minuten nach Start) schon wild am Fächern – das Abendprogramm bekam eine neue Funktion. Wobei man gestern eher von Abendnotizen sprechen muss, denn die „Setlist“ des Trios moderierte Drechsler selbst.
Ja, es war warm und voll in Gristede und vielleicht dachte manch ein Besucher auch eher an eine abkühlende Dusche, dennoch waren alle gekommen, um das Ulrich Drechsler Trio zu sehen und hören. Das freute den Musiker natürlich ungemein und er verkündete schwungvoll, dass sie natürlich große Lust hätten, hier und heute das Konzert zu spielen, das mit einer wirklich langen Vorlaufzeit verbunden war. Eigentlich war schon im letzten Jahr ein Gastspiel bei den Gezeiten geplant gewesen, das dann doch verschoben werden musste.
Umso mehr war der gebürtige Schwabe, der seit 20 Jahren in Wien lebt („ein patriotischer Österreicher“, sagt er selbst) froh, dass es in diesem Jahr geklappt hat. Dann zählte er ein und setzte mit seiner Bassklarinette den expressiven Sound des Abends fest, der viele musikalische Winkel ausleuchtete, die so ein intimes Trio ausmacht. Zum Trio gehören Michael Tiefenbacher (Klavier) und Reinhold Schmölzer (Schlagzeug). Zusammen entwickelten sie Stücke, die leichtfüßig, harmonisch und warmherzig daherkommen. Viele Stücke des Abends gibt es auf der neuesten CD „Beyond Words“ zu finden, live entwickeln sie aber eine tiefere Intensität.
„Diese Musik wirkt wie Balsam – ihre Tiefenwirkung offenbart sich beim Hören Stück für Stück und nimmt schließlich voll für sich ein. Wer sich dem Album auf intellektueller Ebene nähern möchte – bitte! Erforderlich ist dies nicht; den Zugang, den Drechsler bietet, und das gelingt erstklassig, funktioniert über das Unterbewusstsein; der Hörer fühlt, dass ihm hier Gutes widerfährt.“ So wird die CD im Pressetext beworben. Solche Pressetexte sind auch eine Kunstform für sich. Dennoch kann man wirklich von „schöner“ Musik sprechen – eine Beschreibung, die Drechsler auch immer antreibt. Die Songs schweben so ein bisschen vor sich hin, fühlen sich auf eine merkwürdige Weise altbekannt und doch neu an und verstecken ihre Komplexität, die nie zum Schaulaufen gerät, im Detail. Ein Klang, den man sich unbedingt einmal anhören muss und eine weitere Facette im breiten Schaffen von Ulrich Drechsler ist.
Wie es sich bei Jazzkonzerten gehört, gab es jede Menge Zwischenapplaus für die einzelnen Soli und Drechsler war sehr bemüht, seinen beiden Musikerkollegen Freiraum zu überlassen, den sie mit pointierten Soli füllten.
Die Pause gab Gelegenheit zur Abkühlung an der zum Abend hin frischer werdenden Luft und man zeigte sich sehr angetan über die wunderbare Atmosphäre auf der Anlage von Gut Horn. Einige lagen auf der Wiese, andere streiften durch den Garten und den kleinen Wald, andere wiederum nutzten das Catering Angebot.
Ulrich Drechsler selbst mischte sich unter das Publikum und half den Besuchern beim CD Kauf („Ich stehe bei den CD’s und werde Sie bei der Suche nach der richtigen CD beraten“, hatte er vor der Pause lachend verkündet). Nach der Pause wurden die begeisterten Jazzfreunde (und alle, die wie ich auf dem guten Weg dahin sind) mit einem langen Set und mehreren Zugaben belohnt. Dass alle durch den einsetzenden Regen zu den Autos laufen mussten, war dann gar nicht so schlimm. Am Ende zeigte sich auch Ulrich Drechsler begeistert. „Wir sollten öfters hier in der Region spielen“, sagte er zum Abschluss. Da hat er Recht!