Nach dem Erscheinen unserer Grenzgänger-Anzeige in sowohl Flyer als auch Programmheft gab es zwei Rückmeldungen, dass die Geigerin neben ihrer affektierten Haltung (natürlich nur fürs Foto) ja spiegelverkehrt, bzw. linkshändig spielen würde. Dazu möchte ich anmerken, dass wir einerseits unserem niederländischen Grafikbüro gern eine gewisse künstlerische Freiheit bei der Bildbearbeitung einräumen. Andererseits gibt es durchaus sowohl linkshändig spielende Violinisten als auch Cellisten. Der Berühmteste unter ihnen ist sicherlich Charlie Chaplin (u. a. in einem Film zusammen mit Buster Keaton am Klavier). In Wien haben beispielsweise die beiden Geigenmachermeisterinnen Kerstin Hoffmann und Claudia Rook ihre Werkstatt, in der sie auf Anfrage Violinen speziell für Linkshänder umbauen. Viele Linkshänder versuchen dennoch “richtig” zu spielen, zumal in den meisten Orchestern keine linkshändigen Geiger aufgenommen werden. Eine anerkannte Größe in der Musikwelt ist jedoch Reinhard Goebel, Gründer von Musica Antiqua Köln, der aufgrund einer Funktionsbeeinträchtigung seiner linken Hand umlernte.
Ich möchte aber gerne wissen, wo linkshändige Musiker spielen, ob sie überhaupt eine Möglichkeit haben in unserer rechtshändigen Welt haben.
Die ganz kurze Antwort auf Ihre Frage würde lauten: Ja, auch linkshändige Musiker haben eine Chance in der von Rechtshändern dominierten Welt. Charlie Chaplin ist das bekannteste Beispiel dafür, dass man damit auch erfolgreich sein kann.
Die etwas längere – natürlich könnte man Seiten damit füllen – lautet nach einer kurzen Internetrecherche folgendermaßen:
In Österreich gibt es beispielsweise den Verein Linke Hand e. V., der sich dafür einsetzt, dass Kinder tatsächlich ‚mit links‘ u. a. Streichinstrumente spielen lernen dürfen. Die Folgen einer Umerziehung seien ähnlich denen, mit der rechten Hand schreiben lernen zu müssen (höherer Kraftaufwand, schnellere Ermüdung, weniger Emotionsübermittlung, Unsicherheit etc.). Mit der gewohnten Hand sei es leichter, das Spiel zu koordinieren und die Bewegungen natürlicher auszuführen.
Es gibt ein Buch zum dem Thema von Walter Mengler mit dem Titel „Musizieren mit links“.
Jürgen Kussmaul ist ein bekannter Bratschist, der bei einem Unfall zwei Finger seiner linken Hand verloren hat. Er hat danach gelernt, sein Instrument seitenverkehrt zu spielen. Bis 2017 hatte er eine Professur für Viola und Kammermusik an der Robert-Schumann -Hochschule in Düsseldorf inne.
Dennoch ist es so, dass die meisten Linkshänder problemlos die Geige spielen wie Rechtshänder, also mit links wird gegriffen und mit rechts der Bogen geführt. Ganz nebenbei gibt es offenbar rein praktische Gründe, warum viele Berufsmusiker sich für die konventionelle Spielweise entscheiden: Im Orchester ist der Platz auf der Bühne häufig knapp bemessen und es hat einen praktischen Mehrwert, wenn alle in die gleiche Richtung schauen und sich so besser verständigen können. Es gibt tatsächlich Kulturreferenten und Dirigenten, die der Meinung sind, das Gesamtbild werde gestört, wenn jemand im Orchester nicht auf die übliche Weise spielt (vgl. Mittelbayerische, 11.8.2012).
Danke, dass Sie das Thema aufgegreifen. Weil es auf diesem Gebiet oft Fragezeigen gibt, haben wir eine Online-Plattform über ‘linkes’ Musizieren gegründet. Dort interviewen wir Musiker*innen, die im klassischen Bereich andersherum spielen als die Norm, als z. B. mit links streichen. Wir wollen damit zeigen, dass es sie durchaus gibt und dass Linksspielen in vielen (den meisten?) Sinfonieorchestern gar nicht unbedingt als Problem betrachtet wird.
Herzliche Grüße von
linksgespielt.de