Was macht man mit halbfertigen Blogbeiträgen? Ich finde es zu schade, sie in die große runde Ablage zu verschieben. Und so machen wir jetzt einen großen Sprung zurück!
Am 23. Juli spielte das Emil Brandqvist Trio das einzige reine Jazzkonzert bei den Gezeitenkonzerten 2015. Ursprünglich war in der Kulturscheune von Schloss Lütetsburg das ebenfalls aus Skandinavien stammende Tingvall Trio gesetzt. Durch eine Doppel-Buchung wurde da leider nichts draus. Aber wir hatten uns bewusst, schnell und gerne für das Trio um den Schlagzeuger Emil Brandqvist entschieden, da uns seine Musik spontan sehr gefiel. Schon vor dem Erscheinen des neuen Albums „Seascape“ Ende April hatte uns die Plattenfirma Skip Records dieses zur Verfügung gestellt. Die Reaktion des Publikums auf die Umbesetzung war ebenfalls durchweg positiv: Wir hätten locker noch fünfzig Karten verkaufen können.
Nun aber nach Lütetsburg: Wieder war es ein schöner halbwegs warmer Sommerabend, der zum Verweilen draußen lockte. So kam denn auch das Publikum erst spät in die Kulturscheune, war es doch zu schön, im Garten noch ein Glas Wein bei unserer mitreisenden Gastronomie von Haase zu genießen. Fast unauffällig betraten drei junge Herren die Bühne: Tuomas Turunen, der finnische Pianist, der auch einige der Stücke fürs Trio komponiert, Namensgeber Emil Brandqvist klemmte sich hinters Schlagzeug, und der großgewachsene Max Thornqvist schnappte sich seinen Bass. Mit leisen, intensiven Klavierklängen ging es los bis sich der Bass dazugesellte und nach einer Weile auch das Schlagzeug. Die Klänge erinnerten mich ein wenig an das Esbjörn Svensson Trio – schöne Klangteppiche breiteten sie da aus.
Beim zweiten Stück gab es dann etwas fetzigere Piano-Soli, und auch hier kamen Bass und Schlagzeug versetzt hinterher. Auffällig war, dass allen Instrumenten viel Raum gegeben wurde und es Emil wichtig war, alle gleich zur Geltung kommen zu lassen. Von meinem Platz aus konnte ich im Wesentlichen Max am Bass sehen, der sichtlich Spaß hatte, an dem, was er tat. Witzig war das Schattenspiel hinter ihm an der Wand: Dort spielte der vierte Mann einen weiteren Bass.
Danach wandte sich Emil ans Publikum –auf Englisch, weil er das üben müsste. So ganz unrecht hatte er nicht, aber wir hatten alle unseren Spaß. Er erzählte von seinen beiden kleinen Söhnen, die er in der Großstadt Göteborg aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens leider nur an der Hand laufen lassen könne. In dem darauffolgenden Stück „Du håller min hand“ sieht und hört man sie fast durch die Stadt traben. Und eigentlich würde Emil lieber woanders als in einem kleinen Apartment mit der Tankstelle gegenüber als einzigem Aussichtspunkt leben. Er sei schon ein wenig neidisch: „Norden is much more beautiful!“
Später sinnierte er über Polarbären: Vielleicht werden die Ölkonzerne noch einen – den letzten „Den sista isbjörnen“ – übrig lassen. An diesen tasteten sie sich jedenfalls langsam heran: Lange wird nur ein Ton auf dem Klavier immer und immer wieder wiederholt, bis dann langsam alle zusammen kommen. Am Ende gibt es ein Klagelied am Bass, bevor der Eisbär sich ebenso langsam ins Weiße zurückzieht, wie man sich ihm genähert hat.
Bei dem letzten Stück vor der Pause, „Havsanemon“, Seeanemone, geht es noch einmal richtig ab. Alle sind erst nahe beieinander, dann gibt es Soli und ein überraschendes Ende, das das Publikum spontan zum Lachen bringt.
Danach gibt es zum Sonnenuntergang einen Sonnenaufgang – den die Musiker eigentlich qua Beruf selten zu Gesicht bekommen. Auch ein neuer Song – noch ohne Namen – von Tuomas kommt zum Einsatz. Auf den Titel bin ich gespannt: Es war jedenfalls ein sehr schönes Stück für die drei, das sehr berührend war. So ging es dann auch weiter, als das Emil Brandqvist Trio auf Gottes grüne Weiden „Guds gröna ängar“ entführte, ein Platz, wo Gott auf einer schönen baumbestandenen Lichtung mit all den Gerüchen von Wärme, Bäumen, verschiedenen Blumen und dem Summen der Bienen wohnt.
Gleich im Anschluss brachte Emil jedoch die traurige Kunde, dass ein finnischer Mann mit einer Axt sich soeben an diesem Baumbestand zu schaffen gemacht habe und jetzt „Savotta“ folge, geschrieben vom Finnen Tuomas, der so gut wie keinen Baum übrig gelassen habe.
Ein wenig heiterer ging es mit „Sunset” weiter – von diesen haben sie doch bei Weitem mehr gesehen als Sonnenaufgänge und auch hier lässt sich quasi verfolgen, wie der Feuerball vom Meer verschluckt wird. Dann bedankte sich Emil bei dem fantastischen Publikum für den wundervollen Abend und kündigte den letzten Song an, was mit einem lauten „Oohhh“ quittiert wurde. Noch bevor Mareike für die Gezeitenkonzerte die Tee-Präsente übergeben konnte, folgte aber schon die erste Zugabe, weil die drei jungen Männer einfach so viel Spaß hatten und eigentlich noch lange nicht Schluss machen wollten. Wir waren alle begeistert von der Intensität des Zusammenspiels, der Melodik und Dichte der Kompositionen. Das Publikum erklatschte sich drei Zugaben und gab Standing Ovations: ein gelungener Abend in schöner Atmosphäre!