Wenn man von etwas keine Ahnung hat, sollte man, frei nach Wittgenstein, eigentlich gepflegt den Schnabel halten. Nun zwingt mein Boss mich aber, einen Blogeintrag zu schreiben. Was soll man machen? Jörg Widmann und das neophon ensemble in der Kunsthalle Emden – das ist für alle, die sich für Neue Musik interessieren, eine ganz hohe Hausnummer. Und so fand sich gestern in der Kunsthalle ein Publikum zusammen, das genau wusste, was sie erwartete. Extra aus Hamburg kamen Gäste in das voll besetzte Konzert, um den berühmten Künstler live zu erleben.
Und damit wären wir dann eigentlich bei Adorno und seinen „Typen musikalischen Verhaltens“. Wenn ich mich nicht täusche, konnte man gestern wirklich von GUTEN Zuhörern sprechen. Was macht gute Zuhörer aus? Dazu Adorno: „Auch er [der Gute Zuhörer] hört übers musikalisch Einzelne hinaus; vollzieht spontan Zusammenhänge, urteilt begründet, nicht bloß nach Prestigekategorien oder geschmacklicher Willkür … Er versteht Musik etwa so, wie man eine Sprache versteht, auch wenn man von der Grammatik und Syntax nichts oder wenig weiß, unbewußt, der immanenten musikalischen Logik mächtig.“
Ich kann hier zwar nur rein äußerliche Kriterien anführen, aber die sind schon überzeugend: Begeisterter Applaus nach jedem Stück; eine konzentrierte und aufmerksame Stimmung, 98 % kamen nach der Pause wieder zurück und am Ende hörte man einige von einem „absolut faszinierendem Abend“ sprechen. Das lag sicherlich auch am neophon ensemble, eine Truppe junger Musiker, die sich neuer Musik verpflichtet haben und dies mit einer imponierenden Leidenschaft verfolgen.
Wie soll man nun die Musik beschreiben, ohne ihr möglicherweise Unrecht zu tun? Muss man Musikwissenschaft studiert haben oder zumindest Adornos „Philosophie der Neuen Musik“ gelesen haben, um sich über diese Musik kennerhaft zu äußern? Oder reicht es aus, einfach von Musik zu sprechen, die „wie ein Sog ist“ (so liest man auf Widmanns Homepage)? Die Frage für mich ist: gibt es überhaupt die Sprache, diese Musik zu beschreiben? Ich werde mich hier gewissenhaft der intellektuellen Verantwortung entziehen und hoffe, dass mein Boss zufrieden ist, wenn ich ganz schlicht (und blöd?) schreibe: „Mit den Ohren denken“ – das trifft auf diesen Abend zu.
Also bleiben wir bei den äußeren Kriterien: Die Kunsthalle war natürlich der perfekte Ort für dieses Künstlerporträt. Widmann spielte selbst seine „Fantasie“ (1993) und bei den übrigen Stücken, die einen Querschnitt durch sein Werk zeigten (1993-2010), spielte das ensemble in wechselnder Besetzung und erntete für seine Interpretationen großen Applaus. Für die jungen Musiker war es sicherlich ein Traum, mit Anfang 20 mit Jörg Widmann spielen zu dürfen. Auch wenn die Anreise für sie nicht so schön war (es gab einen kleinen Unfall mit dem Auto), werden sie sich bestimmt noch lange an diesen Abend erinnern.
Halten wir fest: ein großer Abend, spannend, eklektisch, verwirrend, außergewöhnlich, und ganz sicher wiederholungsbedürftig.