Am vergangenen Samstag blätterten einige Mitglieder vom neophon ensemble durch das diesjährige Programmheft der Gezeitenkonzerte. Nach einigen gutheißenden Blicken (Ah ja, Lars Vogt!), interessiertem Lesen (Aha, Nekkepenns!) gab es Hochachtung (Oh ja, Julian Steckel!). Leuchtende Augen überall, wenn der Name Steckel fällt. Shootingstar, Preise-Abräumer (ECHO Klassik, ARD Preisträger usw.), Cello-Verführer – mit 30 Jahren trägt der junge Künstler (der auch schon Hochschulprofessor in Rostock ist) so einige Titel mit sich im Handgepäck herum.
Ein unwissenschaftlicher Seitenblick: Wenn der Wikipedia Artikel für ein Solowerk für Cello von Bach so lang ist, dass man eine Weile runterscrollen kann, muss das ja schon was heißen, denkt man. (Vor allem, wenn viele Artikel zu Klassikstücken noch sträflich kurz sind).
Bachs Stücke sind „tiefgründig, harmonisch und polyphon“ schrieb der Spiegel einmal. Der berühmte Cellist Pau Casals ging soweit, die Suiten als die Quintessenz von Bachs Schaffen zu bezeichnen, „und Bach selbst ist die Quintessenz aller Musik“. Es gibt ja Menschen, die ihr Leben lang ausschließlich Bach hören sollen…
Die Suiten für Violoncello sind für die Cellisten also das, was für die Pianisten das Wohltemperierte Klavier ist: ein Dauerbrenner. Für das musikalische (Über-)Leben unersetzlich. „Auf dem Olymp der Cellisten“ – so überschrieb Ulf Brenken das gestrige Abendprogramm.
Nicht auf dem Olymp, sondern erst einmal auf der Bühne in Buttforde gestaltete nun Julian Steckel weltgewinnend sein Gezeitenkonzert. Die Rahmenbedingungen waren wie geschaffen: super Wetter, ostfriesische Stille und endlose Weite in Buttforde. Buttforde? Frage an die weise Dame Wikipedia: „Buttforde ist ein Haufendorf (Wer jetzt kichert, verliert). „Ein Haufendorf ist ein geschlossen bebautes Dorf mit unregelmäßigen Grundstücksgrundrissen und häufig unterschiedlich großen Höfen“.
Die Kirchengemeinde hatte sich extra beworben und nach gründlicher Prüfung war es eine Freude, auch diesen Klangraum für die Gezeiten neu zu entdecken und zu bespielen.
Auch NDR Kultur war sofort auf dieses Konzert angesprungen und zeichnete es gestern auf. Abgesehen von einem kurzen Fiepen, das wohl von einem Hörgerät ausging, hat die Aufzeichnung super geklappt und man versicherte uns, dass am Ende nur die Musik zu hören sei. Der Sendetermin wird noch bekanntgegeben.
Das Konzert an sich war schlicht atemberaubend. So konzentriert, perfekt, wohlüberlegt, über alles Technische erhaben, spielen wohl nur wenige diese Suiten (Dazu reicht schon ein Besuch bei Youtube). Beeindruckt und bewegt verließen wir die Kirche zur Pause.
Am Ende gab es noch Autogramme, unter anderem für eine 10-jährige Konzertbesucherin, die selber Cello spielt und ganz hingerissen war. Ein Platz in der ersten Reihe war frei geworden und so hatte sie den besten Blick auf die rasanten Finger.
Um Mitternacht endete der Tag für uns und Julian Steckel entspannt mit einem gemeinsamen Bier in Aurich und meiner Erkenntnis, dass es für so ein Cello Solo-Konzert keinen besseren Musiker gibt als Julian Steckel. Ein Leben lang Bach? Wenn Julian Steckel das Cello übernimmt, bin ich dabei!