Aurich – Lambertikirche
Der älteste Teil der Kirche ist der Lambertiturm, das Wahrzeichen Aurichs. Er wurde im späten Mittelalter aus Backsteinen errichtet und 1656-62 um ein zweites Stockwerk erhöht sowie mit einem achteckigen, mit Schiefer gedeckten Aufbau, zwei Galerien und einer Turmspitze versehen.
Die um 1200 erbaute, flach gedeckte Einraumkirche wurde in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts eingewölbt und in den folgenden Jahrhunderten erweitert. 1648/49 entstand die Gruft, die dem Grafen- und Fürstengeschlecht der Cirksena als Begräbnisstätte diente. 1826 wurde der Kirchenbau wegen Baufälligkeit abgerissen. Die Gebeine der ostfriesischen Herrscherfamilie fanden vorübergehend ihren Platz in einem Kellergewölbe, bis die Särge 1880 in das Mausoleum auf dem Friedhof überführt wurden. Die elf erhalten gebliebenen Sarkophage sind restauriert und man kann das Mausoleum besichtigen. (Den Schlüssel hat der Friedhofswärter.)
Durch ein Säulenportal an der Südseite tritt man in den 2010 in den Originalfarben wunderbar erneuerten klassizistischen Saalbau ein, der schon sieben Jahre nach dem Abriss (1833-35) unter Aufsicht des Bauinspektors Reinhold aus Leer errichtet wurde. Geplant hatte das Bauwerk der vielseitige Auricher Kaufmann und Architekt Conrad Bernhard Meyer, der auch für zahlreiche andere Bauten in Aurich verantwortlich ist, so zum Beispiel für die Reformierte Kirche und das Conring’sche Haus in der Burgstraße 43.
Die strenge Gliederung des Kirchenäußeren setzt sich im Inneren der Kirche fort. Der schlichte, als protestantische Predigerkirche konzipierte quer gegliederte Raum bekommt durch hohe Fenster viel Licht. So kommen die Ausstattungsstücke voll zur Geltung.
Das wertvollste und älteste Ausstattungsstück der Kirche ist der spätgotische Passionsaltar aus dem nach der Reformation dem Erdboden gleichgemachten Zisterzienserkloster Ihlow bei Aurich. Auf der Rückseite eingebrannte Zeichen in Form von Händen sind der Nachweis dafür, dass der Altar zwischen 1500 und 1510 von Meistern der Antwerpener Lukas-Gilde geschnitzt wurde. Der nun über 500 Jahre alte Flügelaltar mit einem feststehenden Mittelteil und zwei Seitenflügeln, die eingeklappt werden können, ist ein sogenannter Wandelaltar. Er zeigt auf seiner Festtagesseite, die ursprünglich nur zu Weihnachten, Ostern und Allerheiligen zu sehen war, Szenen aus dem Leben Jesu von der Verkündigung (die Figur der Maria ging verloren, ebenso die Krippe mit dem Jesus-Kind in der Geburtsszene, die aber ersetzt wurde) bis zur Kreuzigung, dargestellt auf einem geschnitzten Schrein und auf Gemälden der Seitenflügel. Auf der Werktagsseite bei geschlossenen Flügeln, die das ganze übrige Jahr für die Gemeinde sichtbar war und heute in der Passionszeit zu sehen ist, ist auf den mittleren Tafeln die Gregorsmesse dargestellt. Papst Gregor erscheint nach einer Legende bei der Feier des Abendmahls die Gestalt Christi, um einem Zweifler zu beweisen, dass die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi tatsächlich stattfindet. Der rechte Flügel zeigt das Abendmahl, wie es im Neuen Testament geschildert wird und auf dem linken Flügel wird das Pendant dazu aus dem Alten Testament dargestellt: der Priester Melchisedek segnet den aus dem Kriege heimgekehrten Abraham und reicht ihm Brot und Wein. Die Predella wurde 1961 zum Altar hinzugefügt.
Die barocke Kanzel, gestiftet 1692, stellt Moses und die vier Propheten Jeremia, Jesaja, Hesekiel und Daniel dar. Der Kanzelkorb ruht auf fünf Fabeltieren.
Aus der Vorgängerkirche stammt der flämische Kronleuchter aus Messing von 1630. Die beiden anderen Leuchter wurden der Kirche im 17. Jahrhundert gestiftet.
Auf der Empore hängt ein Abendmahlsbild eines unbekannten Künstlers aus dem 17. Jahrhundert. Auf dem etwas grobschlächtig gemalten Bild steht nicht, wie sonst üblich, Jesus im Mittelpunkt, sondern Judas, der mit roten Haaren und Bart, in ein rotes Gewand gekleidet, als einziger den Betrachter ansieht – und das ziemlich grimmig.
Die von Liebhabern der Orgelmusik sehr geschätzte zweimanualige Orgel mit selbstständigem Pedal und 25 Registern stammt aus der Werkstatt Ahrend & Brunzema in Leer-Loga (1960/61). Die äußere Gestaltung dieser Orgel steht ganz im Gegensatz zur Tendenz der Erbauungszeit, die einen nüchtern-objektiven Stil bevorzugte. Im Prospekt, der durch eine überzeugende Proportion und sparsame Schmuckelemente gekennzeichnet ist, dominieren die Pfeifen. Sie sind durch ihre geometrische Ornamentierung und Vergoldung zu Elementen der Skulptur geworden wie im „klassischen“ Orgelbau der Renaissance und der Barockzeit, ohne eine Kopie zu sein. Die Orgel entspricht in ihrer technischen und klanglichen Konzeption dem künstlerisch-handwerklichen Niveau des klassischen Orgelbaus. In ihrer 60-jährigen Geschichte wurde die Orgel noch nie überholt.
2023 wurde dann aber eine grundlegende Renovierung und Erweiterung des Instruments durch die Firma Jürgen Ahrend Orgelbau, Leer-Loga, und das Restaurierungszentrum Neuenburg fertiggestellt. Dabei wurde, um die klanglichen Ressourcen der Orgel zu erhöhen, ein Brustwerk mit fünf Registern mit einer Manualklaviatur eingebaut. Die Mittel für diese umfassenden Arbeiten kamen aus vielen Quellen. Bund und Landeskirche sowie Stiftungen, z. B. die Niedersächsische Bingo-Stiftung, sowie viele private Spender trugen dazu bei, das 62 Jahre alte Instrument auf den bestmöglichen Stand zu bringen.
Monika van Lengen
Lambertikirche
Lambertshof 1
26603 Aurich