Musikalische Wanderungen beim Gezeitenkonzert in Holtgaste

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Matthias Kirschnereit beim Gezeitenkonzert in Holtgaste, Foto: Karlheinz Krämer
Matthias Kirschnereit beim Gezeitenkonzert in Holtgaste, Foto: Karlheinz Krämer

„Was hat sich denn der Kirschnereit bei diesem Programm gedacht!?“ – Dieser Satz stammte gestern Abend in Holtgaste nicht von einem skeptischen Konzertbesucher, sondern vom Meister persönlich. Ungewöhnlich wirkte das Programm tatsächlich: nicht weniger als acht (!) Komponisten standen auf dem Programm, das von bekannten Stücken wie Mozarts A-Dur Sonate und Schumanns Kinderszenen bis zu Entdeckungen von Alberto Ginastera reichten. Ein tiefer Griff in die Repertoirekiste, wie er selber sagte. Und gleichzeitig ein Querschnitt durch das virtuose und breit gefächerte künstlerische Spektrum des künstlerischen Leiters der Gezeitenkonzerte.

Natürlich hatte er sich bei dem Programm etwas gedacht. Nach der perlenden Mozart-Sonate erklärte Kirschnereit den Abend. Das „Wandern“ sei das Leitmotiv des Programms. Bei Mozart wandert das Thema durch die verschiedenen Variationen und landet letztendlich im berühmten türkischen Marsch, also auch eine kulturelle Wanderung. Weiter ging es mit Schuberts Ungarischer Melodie und der Wanderung durch alle möglichen Tonarten im Marsch E-Dur hin zu Helmut Lachenmanns Variationen über ein Thema von Schubert. Die Anekdote dazu: Lachenmanns Lehrer bemängelte sein Legato-Spiel bei den Schubert Interpretationen. Was machte Lachenmann? Eine Woche später reichte er einfach seine eigenen Variationen ein.

Nach dem Schubert hatte sich der Pianist sichtlich warm gespielt, und auch die schöne Kirche in Holtgaste wärmte sich am Klang auf. Wettertechnisch war es gestern mal wieder bescheiden. Na, ja, im Prinzip war es einfach nur viel zu kalt für einen Julitag. Die Kirche – auch eine Entdeckung – liegt auf einer Warft am Rande des Dorfes. So weit man gucken kann, nur Wiesen und Horizont, also Ostfriesland pur. In der Kirche selber stand die Bühne zwischen Kirchenschiff und Chor. Dazwischen befindet sich eine Art Triumphbogen, sodass wir auch „hinter“ dem Flügel noch Stühle aufstellen konnten. 160 Besucher fanden damit Platz.

Nach der Pause, die dann die meisten doch draußen verbrachten, ging es mit Schumanns Kinderszenen weiter, die ja vermutlich jeder Klavierliebhaber kennt und vermutlich so einige zuhause üben. Zum Schluss hin wurde es dann abenteuerlich virtuos. Rachmaninoff (Preludes gis, h, und g-Moll) ist dafür immer noch der beste Garant. Richtig spannend wurde es dann am Ende mit Alberto Ginasteras Sonate para piano Nr. 1 op. 22 aus dem Jahr 1952. Scharfe argentinische Rhythmen und wilde Wechsel von Sechsachtel- und Dreiviertel-Takten rasten nur so dahin bis sie donnernd verhallten.

Mit Standing Ovations und zwei Zugaben endete der Abend um kurz vor 23:00 Uhr. Matthias Kirschnereit fuhr nach dem Mammutprogramm noch in der Nacht nach Hamburg zurück. So ein musikalischer Wanderer ist eben immer unterwegs.

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