Vokalensemble Singer Pur und Organistin Anneke Brose in der Ludgerikirche Norden: “Der Geist weht, wo er will!
An so heißen Tagen wie Mittwoch ist man beinahe froh, zu arbeiten. Die Kirchen spenden angenehmen Schatten und sind auch immer kühl. Zudem hört man schöne Musik. Nur mit dem Wind hatten wir mal wieder zu kämpfen, aber dank einer besonderen Steinsammlung aus der Ludgerikirche bekamen wir auch dieses Problem in den Griff.
Auf dieses Konzert hatte ich mich seit langem gefreut, denn es gab Gesang. Unter dem Titel „der Geist weht, wo er will“ boten uns Singer Pur und Anneke Brose an der Arp-Schnitger-Orgel geistliche Musik aus verschiedenen Kulturen. Die Zusammenstellung war auf den ersten Blick ungewöhnlich: es gab Renaissancemusik, Frühbarock und ein bisschen Bach auf der einen und Modernes auf der anderen Seite. Das ganze passt aber erstaunlich gut, da viele Zeitgenossen alte geistliche Texte vertonen. Durch diese Gegenüberstellung bekommt man nochmal eine ganz neue Sicht.
Den Auftakt machten das Vokalensemble und Anneke Brose mit Samuel Scheidts „Veni Creator Spiritus“. Uralt, es klang ein bisschen nach Gregorianik. Ich fühlte mich in einen Gottesdienst versetzt, denn Orgel und die Sänger spielten immer im Wechsel, wie in der Liturgie. Die historische Ludgeri-Orgel hat einen schönen und variablen Klang und durch die ein wenig temperierte Stimmung der Pfeifen lassen sich Tonarten bis zu drei Vorzeichen ohne Probleme spielen, trotzdem gibt man die Reinheit der Intervalle nicht auf. Für unser Ohr ist die reine Stimmung ungewöhnlich, da Klaviere mit Absicht „falsch“ gestimmt werden, um in allen Tonarten spielen zu können. Daher klingt Orgelmusik manchmal ein bisschen schief.
Doch der Geist weht laut Singer Pur überall und nicht nur im Christlichen. Sie präsentierten dem Publikum verschiedene moderne geistliche Vokalkompositionen aus unterschiedlichen spirituellen Richtungen. Zum Beispiel vom indischen Komponisten Sandeep Bhagwati, der mittlerweile in Deutschland lebt. „Du´a for the closing oft he eyes of Dead“. Das war das erste Konzert, bei dem ich keins der Stücke kannte. Doch es war etwas „ganz besonderes“ um eine Konzertbesucherin zu zitieren. Wann bekommt man in Ostfriesland schon einmal solche Stücke geboten? Auch wenn die Musik fremd war merkte man eins schnell: Nicht nur die Orgel, auch die Stimmen sind besonders. Moderne Musik ist ja oft geprägt von etwas schrägen Harmonien. Die zu singen ist, kann ich aus eigener Erfahrung sagen, nicht so einfach, erst recht nicht in der kleinen Gruppe. Da muss man schon sehr intonationssicher sein und sein eigenes Gehör ein bisschen austricksen, um nicht doch in die Konsonanz zu rutschen. Sogar etwas asiatisches war dabei: “Written on a rainy night” von Chen Yi. Klang auch genau so, auf dem Klavier spielt man das bestimmt nur auf den schwarzen Tasten. Die stilistische Vielfalt der Sänger beeindruckte mich, ebenso wie ihr Gruppengefühl. Jeder wusste genau, wann er sich in der Gruppe zurücknehmen musste. Soli wurden sehr schön gestaltet. Vor allem Tenor Manuel Warwitz fiel durch seinen fast baritonalen Gesang auf. Trotz des hohen künstlerischen Niveaus und der großen Bandbreite fehlte mir in der ersten Hälfte was bekanntes, wo man ein bisschen mitwippen konnte. Auch da gibt es tolle geistliche Musik. Die erste Hälfte war mir etwas zu akademisch-trocken. Ein wenig versöhnt wurde ich durch Bachs „Wenn wir in höchsten Nöten sein“, zunächst von der Orgel und dann vom Ensemble. Wenigstens kenne ich mal was. Als kleinen Rausschmeißer gab es eine Lamentation des Zeitgenossen Ivan Moody. Ein wenig nachdenklich ging ich in die Pause, Fazit: Viel neue Musik kennengelernt, künstlerisch ein sehr hohes Niveau von allen Beteiligten. Das gewisse Etwas fehlte mir aber noch, obwohl es vielen Konzertbesuchern anders ging.
Das kam dann in der zweiten Hälfte: Durch Zufall hatte ich einen Platz im Altarraum, also viel weiter vorne und näher an der Orgel. Die einleitende Fantasie von Bach über „Es ist genug“ hatte gleich eine ganz andere Klangqualität. Beim Spiel der Basspedale vibrierte meine Kirchenbank. Danach kam der magische Moment des Abends: Eine welterstmalige Uraufführung. Joanne Metcalf (USA): It is enough. Das Stück wird auf ewig mit Norden verbunden bleiben, so Bariton Reiner Schneider-Waterberg. Die Aufnahme kommt der Komponistin augenblicklich zu. Für moderne Musik war dieses Stück sehr gesanglich, fast belcanto. Begeisterter Zwischenapplaus.
Danach zündeten die Künstler ein kleines Renaissance-Feuerwerk: Dum complerentur dies Pentecostes von Palestrina. Endlich war das da, was mir so ein bisschen gefehlt hatte. Die Pfingstmotette hatte Leidenschaft und die nötige Prise Pfeffer. Eine Dame konnte ihre Begeisterung gar nicht mehr im Zaum halten. Die Orgel fiel in diese Stimmung mit Pachelbels Kanon in D, ach nein, es gibt ja auch noch anderes, „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ ein. Diese Variationen gefielen mir sehr gut und waren auch virtuos von Anneke Brose gespielt, die hier keinesfalls zu kurz kommen darf, denn sie holte aus der besonderen Orgel auch besonderes raus.
Vor dem Abschluss gab es noch eine moderne Vertonung eines alten Gedichts: Hans Schanderl, einmal wandelt Läuten durch mich hin. Die Stimmen imitierten zu Beginn dieses Geläut. Der Text war mehr schaurig als schön, das Stück war geprägt von zahlreichen Dissonanzen, die endlos weiterführen könnten. Eine Auflösung war nicht in Sicht, der Abschluss kam sehr plötzlich.
Zum Ende hin wurde es noch einmal feierlich, mit Buxtehudes Komm, Heiliger Geist, Herre Gott an der Orgel und dem Schlusschoral aus Bachs Motette „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“. Jetzt kannte ich schon zwei Stücke. Lang anhaltender Applaus überdeckte unser Chaos bei der Präsentübergabe: Während ich zu ihrem Ausgang ging, lief Wiebke Schoon zu meinem Platz, wir gingen also praktisch im Kreis. Mit ein wenig Glück haben wir uns dann doch noch gefunden.
Bei kaum einem Konzert bisher habe ich so viel Musik kennengelernt wie heute und darüber bin ich sehr froh. Man soll ja nie aufhören, seinen Horizont zu erweitern.