„Mehr Verzweiflung brauchen wir nicht“

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Christian Tetzlaff und Leif Ove Andsnes begeisterten die Zuhörer in der Neuen Kirche Emden

Christian Tetzlaff und Leif-Ove Andsnes
Christian Tetzlaff und Leif Ove Andsnes beeindruckten beim Gezeitenkonzert in der Neue Kirche Emden, Foto: Karlheinz Krämer

„Dürfte ich ein Programm der diesjährigen Gezeitenkonzerte hervorheben, was nicht der Fall ist, es wäre das heutige.“ – So dezent verklausuliert habe ich im Abendprogramm meine begeisterte Vorfreude auf dieses Konzert formuliert. Und nun, im Blogbeitrag, kommt es ungeschminkt: Das war mein Lieblingskonzert der diesjährigen Gezeitenkonzerte! Und ich habe immerhin fünf von 32 miterlebt … Hamburg-Emden und zurück, das war es mir als Beifahrer wert!

Christian Tetzlaff (Violine) und Leif Ove Andsnes (Klavier) hatten sich für eine ungewöhnliche Programmform und -folge entschieden. Und die Spieldauer der einzelnen Stücke wurde zudem im Programmverlauf immer länger. Zunächst spielten sie gemeinsam die einzige Sonate für Violine und Klavier (1914-21) von Leoš Janáček: Vier traumhaft schöne und wunderbar dargebotene Sätze verzauberten schon zu Beginn die vollbesetzte Emder Neue Kirche.

An zweiter Stelle stand das Solo des Pianisten: Leif Ove Andsnes spielte Franz Schuberts geheimnisvolle Drei Klavierstücke D 946 (1828), die für mein Musikempfinden immer wertvoller werden, seit ich sie in diesem Jahr anlässlich des zu schreibenden Programmhefttextes wieder hörte. Und Leif Ove Andsnes vertiefte sich – nach etwas unruhigem Beginn – von Minute zu Minute immer mehr in Schuberts Welt.

Zur Pause blieb es, wie von Landschaftspräsident Rico Mecklenburg in seiner Begrüßungsrede versprochen, tatsächlich trocken. Da wurde ziemlich hoch gepokert … und gewonnen!

Christian Tetzlaff, Foto: Karlheinz Krämer

Nach der Pause stand das Solo des Geigers auf dem Programm: Christian Tetzlaff hatte dafür nichts Geringeres als Johann Sebastian Bachs unbeschreibliche Partita Nr. 2 in d-Moll für Violine solo BWV 1004 (bis 1720) angesetzt. Bei schweißtreibender Abendsonne, die auf der Bühne zusätzlich für satten Kalorienverbrauch sorgte, erlebten wir Zuhörer eine weitere Sternstunde mit diesem Weltklassegeiger, der bei den Gezeitenkonzerten schon mehrere Auftritte hatte und immer begeisterte. In Emden fehlen mir für seine Darbietung schlicht die Superlative – – –

Christian Tetzlaff und Leif-Ove Andsnes
Inniges Zusammenspiel

Sehr langer Beifall, vier „Vorhänge“, eigentlich war‘s genug für heute. Und doch ging es weiter, mit Dmitri Schostakowitschs später Sonate für Violine und Klavier G-Dur op. 134 (1968), die beide Interpreten zum Schluss wieder gemeinsam auftreten ließ. Aber was heißt schon „zum Schluss“ – eine gute halbe Stunde intensiver Musik folgte ja noch, drei Sätze (langsam–schnell–langsam), die, wie mich Christian Tetzlaff später überzeugte, auf CD ihre Wirkung eher verfehlen und eigentlich nur im Konzert als live gespielte Musik im Kontakt zwischen Musizierenden und Zuhörern ihre volle Ausstrahlung erreichen. Genauso habe ich es empfunden.

Die abgründige Trostlosigkeit des letzten Satzes verstummte, und nach einer kleinen Atempause bebte die Kirche unter den Beifallsstürmen des Publikums. Standing Ovations innerhalb von Sekunden! Die beiden Musiker zeigten sich ebenso erschöpft wie zufrieden und spendierten eine Zugabe, die Christian Tetzlaff mit den passenden Worten einleitete: „Mehr Verzweiflung brauchen wir nicht.“ – Leif Ove Andsnes und er spielten noch von Wolfgang Amadeus Mozart den 2. Satz (Thema mit Variationen) aus der Violinsonate in G-Dur KV 379 von 1781.

Danach war Schluss und meine musikalische Aufnahmefähigkeit am Ende. Mit voller Kapelle (witzige Metapher!) fuhren bzw. eilten wir wieder gen Hamburg. Wenn auf die Deutsche Bahn kein Verlass war, dann an diesem Sonntagabend in Bremen – leider fuhren zwei Züge überraschend pünktlich los … Und dass man in ein McDonalds-Restaurant kein eigenes Bier mitbringen darf, ist auch ein Skandal! Dafür kommt man ganz schön herum, wenn man als Auswärtiger die Gezeitenkonzerte besucht – fragen Sie mich bitte nicht nach meiner Sonnenbrille …

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