Becker-Faust und stehende Ovationen in Backemoor

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Nicola Jürgensen, Florian Uhlig und Felix Klieser, Foto: Karlheinz Krämer
Nicola Jürgensen, Florian Uhlig und Felix Klieser, Foto: Karlheinz Krämer

Backemoor. „Neue Bahnen“ in alten Gemäuern: Die Backemoorer Kirche St. Vincenz und St. Laurentius stammt aus dem 13. Jahrhundert. Früher trafen sich hier die „Sechzehner“, die Richter aus dem Overledinger Land, zur Beratung. Am Samstag (18. Juli) kamen in der Kirche vier Musiker zusammen, die so noch nicht gemeinsam aufgetreten sind. Die Klarinettistin Nicola Jürgensen, der Hornist Felix Klieser, der Violinist Ingolf Turban und der Pianist Florian Uhlig stellten sich dieser Herausforderung und zeigten ihre Virtuosität. Die Vier spielten im Rahmen der Gezeitenkonzerte in Backemoor. Sie alle sind ausgezeichnete Musiker: Felix Klieser erhielt 2014 den ECHO als bester Nachwuchskünstler, Nicola Jürgensen schon 2002 den „Förderpreis Deutschlandfunk“ und sind international erfolgreich. Der Violinist Ingolf Turban gilt als einer der fachkundigsten Interpreten Paganinis. Bei den Gezeitenkonzerten begeisterte er bereits 2013 mit seinem beeindruckenden Auftritt in der Großen Kirche in Leer. Turban ist Professor für Musik an der Hochschule in München. Ebenfalls weltweit gefragt ist Florian Uhlig. Er ist Ehrenmitglied der Royal Academy of Music in London, Professor für Klavier an der Hochschule für Musik in Dresden und gibt Meisterkurse in Deutschland, Großbritannien, Kanada, Hong Kong, Südkorea, China und in der Schweiz.

Ingolf Turban und Florian Uhlig beim Gezeitenkonzert in Backemoor, Foto: Karlheinz Krämer
Ingolf Turban und Florian Uhlig beim Gezeitenkonzert in Backemoor, Foto: Karlheinz Krämer

Turban und Uhlig eröffneten den Abend in Backemoor mit der F-A-E-Sonate für Violine und Klavier. Die 1853 entstandene Sonate ist eine Gemeinschaftskomposition von Albert Dietrich, Robert Schumann und Johannes Brahms und als solche eine Besonderheit der Musikgeschichte. Schließlich sind Gemeinschaftskompositionen höchst selten. Zum ersten Mal erklang die Sonate 1853, gespielt von Clara Schumann am Klavier und Joseph Joachim auf der Violine. Das Kürzel F-A-E steht dabei für „frei, aber einsam“ – Lebensmotto des eingefleischten Junggesellen Joachim. 2015 lassen Ingolf Turban auf der Violine und Florian Uhlig am Klavier die Sonate erneut erklingen. Was die beiden Musiker in der scheinbaren Provinz bieten, ist Musik auf höchstem Niveau. Als der Wahl-Londoner Uhlig den letzten Ton anschlägt, blickt er auf – und ballt die Faust wie einst Boris Becker bei seinem Sieg in Wimbledon. Das ostfriesische Publikum ist begeistert: langanhaltender Beifall und laute Bravo-Rufe erfüllen den Kirchenraum.

Hornist Felix Klieser, Foto: Karlheinz Krämer
Hornist Felix Klieser, Foto: Karlheinz Krämer

Nicht weniger meisterlich ging es danach weiter: Nicola Jürgensen, Felix Klieser und Florian Uhlig spielen Carl Reineckes Trio für Klarinette, Horn und Klavier B-Dur. Die Musik ist romantisch, das Zusammenspiel virtuos. Der warme, volle Klang des Horns erfüllt die Kirche, untermalt vom leichten Spiel der Klarinette und dem begleitenden Klavier. Dass Klieser seinem Instrument auch filigrane Töne zu entlocken vermag, zeigt er bei diesem Stück und nach der Pause im harmonischen Spiel mit dem Violinisten Turban und dem Pianisten Uhlig bei Brahms op. 40 in Es-Dur. Die Zuhörer sind beeindruckt – insbesondere von der Leistung Felix Kliesers. Dem Hornisten fehlen beide Arme, die Register spielt er mit den bloßen Füßen. Verzichten muss er dabei auf das Stopfen, das eigentlich mit den Händen geschieht. Kein Problem für den erst 24-jährigen Klieser – er hat seine Blastechnik so ausgefeilt, dass Stopfen gar nicht nötig ist. Weltklasse in Backemoor, die die Zuhörer zu würdigen wissen: Für sein und das Können seiner Kollegen gibt es am Ende des Abends stehende Ovationen und langen Applaus, den das Publikum dankbar spendet. Die Musiker strahlen – man merkt, sie fühlen sich wohl in Backemoor. „Nach Ostfriesland komme ich sehr gerne.“, erklärt Ingolf Turban. Der Violinist aus München schätzt die Atmosphäre und die Akustik der alten friesischen Kirchen. Besonders fühlt er sich dem hiesigen Publikum verbunden und lobt dessen Begeisterung für Musik: „Die Menschen hier in Ostfriesland sind so reizend. Es ist eine Freude, hier zu spielen.“ Dafür fahre er auch gerne 870 km mit dem Auto von München hoch in den Norden. Diese Freude war allen vier Musikern anzumerken.

Wer diesen Abend in Backemoor nicht live erleben konnte, muss auf diesen musikalischen Genuss nicht verzichten. Deutschlandradio Kultur zeichnete das ausverkaufte Konzert auf und sendete es am Sonntag, 19.07. in seinem Programm. Unter www.dradio.de (Beitrag hören – oben) gibt es die Aufzeichnung aus der Kirche St. Vincenz und St. Laurentius zum Nachhören. Es lohnt sich.

Text: Jörg Vollbrecht

Entspanntes Publikum vor der Kirche Backemoor, Foto: Karlheinz Krämer
Entspanntes Publikum vor der Kirche Backemoor, Foto: Karlheinz Krämer

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