Am vergangenen Montag beglückte uns Alexander Krichel bei den Gezeitenkonzerten. Da ich in dieser Woche Berit Sohn in der Künstlerbetreuung vertreten habe, hatte ich die Gelegenheit, auch etwas mehr von dem Pianisten mitzubekommen und nicht nur den Künstler auf der Bühne zu erleben. Ich finde es immer sehr spannend, die unterschiedlichen Persönlichkeiten kennenzulernen, die sich hinter so einem Genie verbergen. Manche leben förmlich in einer Blase und werden von der Gesellschaft als „Künstler“ belächelt, dann gibt es diejenigen, die durch ihr Ansehen und ihre Beachtung sehr hochnäsig werden und erwarten, dass sie von allen Seiten bedient werden und dann gibt es Künstler wie Alexander Krichel, die wahre Meister in ihrem Metier sind, aber im Alltag sehr bodenständig und menschlich geblieben sind.
Als ich dann abends im Konzert in der Kirche zu Völlen saß, brauchte ich zunächst etwas Zeit um „Alex“ mit dem Pianisten auf der Bühne in Einklang zu bringen. Neben einer wirklich exzellenten Technik besitzt Alexander Krichel eine sehr große Musikalität wie ich sie wirklich nur selten bei so jungen Musikern erlebt habe. Gerade bei Liszts Beethoven-Bearbeitung des Liederkreises op. 98 „An die ferne Geliebte“ ist mir dies besonders aufgefallen. Hätte ich nicht gewusst, dass auf dem Podium ein 28-jähriger Pianist sitzt, hätte ich eine solche Interpretation einem sehr viel „reiferen“ Menschen zugeschrieben. Er war so in der Musik gefesselt, sein Blick schweifte durch die Gegend, doch blickte er durch die Zuschauer hindurch und war in einer anderen Welt. Als ich mir die Gedichte im Nachhinein nochmal zu Gemüte führte, verstand ich noch mehr, was der Musik zugrunde lag. Franz Liszt besaß die Fähigkeit, die Gefühle, die in den Gedichten verarbeitet worden sind, musikalisch aufzufangen und festzuhalten. Alexander Krichel gelang es wiederum diese Emotionen in seine Interpretation mitaufzunehmen und in den Konzertraum zum Publikum zu transportieren.
Als zweites Stück spielte Alexander Krichel von Maurice Ravel „Le Tombeau de Couperin“, welches er auch für seine neuste CD Miroirs aufgenommen hat. Der “Tombeau de Couperin” (Tobeau – aus dem französischen Barock: Hommage an einen Komponisten) ist ein Gedenken an den großen Barockkomponisten François Couperin. Zudem sind die einzelnen Sätze der Suite befreundeten Soldaten gewidmet, die zu Zeiten der Komposition im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Die einzelnen Sätze haben jeweils einen ganz eigenen Charakter, dessen Kontraste sehr fein von Alexander Krichel herausgearbeitet wurden. Mit der Toccata, einem wahren Rausschmeißer zur Pause, wurden wir aus den Bänken gerissen. Bravo-Rufe, Fußgetrampel, stehende Ovationen und einen tosenden Beifall gab es schon nach der ersten Hälfte.
Nach einer kurzen Pause mit sehr leckeren Fallafelspießen, ging das Konzert mit den Symphonischen Etüden cis-Moll op. 13 und 5 Variationen op. posthum von Robert Schumann weiter.
Solange ich noch zur Schule ging, waren für mich Etüden einfach nur lästig. Jede Woche musste ich diese Übungsstücke spielen und ich spielte sie so lustlos, dass sie mein Geigenspiel überhaupt nicht voran brachten. Viele Etüden sind auch wirklich nur dafür da, dass man seine technischen Fähigkeiten erweitert, und in vielen Fällen klingen sie auch dementsprechend. Erst mit den Etüden von Fréderic Chopin lernte ich, dass diese Teufelsstücke nicht nur ätzend sein können. Einige geniale Komponisten gibt es, die wahre Musikstücke komponierten, an denen man nebenbei seine Technik verfeinern kann. Ein solches Meisterwerk schuf auch Robert Schumann. Die Symphonischen Etüden sind 12 Variationen über ein Thema, in denen jeweils ein technischer Schwerpunkt im Mittelpunkt steht. Die große Kunst ist es die Stücke nicht nach einer Etüde klingen zu lassen; die Stücke perfekt zu beherrschen, aber die Musik nicht durch Perfektion zu hemmen.
Matthias Kirschnereit hatte bei den Langen Nächten so schön gesagt, dass es ja heißt ein “Instrument SPIELEN” und man eben nicht nur die Noten auf seinen Instrumenten „reproduzieren“ soll. Wenn es Musikern gelingt auf ihrem Instrument zu spielen, kommt die Musik, die dann automatisch an Emotionen gekoppelt ist und nicht durch die Perfektion aufgehalten wird, auch beim Zuhörer an. Das war es auch, was mich an Alexander Krichel so fasziniert hat. Die virtuosen, sehr anspruchsvollen Stücke klangen nicht nach stetem Bemühen, die Töne in der richtigen Reihenfolge zur richtigen Zeit anzuschlagen. Er machte Musik, die mit einer Selbstverständlichkeit aus ihm zu kommen scheint, wie man es bei so jungen Künstlern wahrhaft nur selten erleben kann. Mit Recht, wie ich finde, feiert ihn die Presse als ein großes, vielversprechendes Talent und ich hoffe sehr, dass auf Krichels Debüt bei den Gezeitenkonzerten noch das ein oder andere Konzert mit ihm bei uns folgen wird.