Eröffnungskonzert der Gezeitenkonzerte
Wir schreiben den 24.06.2016, Punkt 15:32 Uhr. Etwas gehetzt und etwas zu spät, wie immer, komme ich durch unsere Bürotür. Es hat sich einiges getan: Auf einmal stehen da Fahnen rum, und vor der Tür parken superlange, superschnelle und superschicke Autos von VW. Haben die Kollegen etwa im Lotto gewonnen?! Nein, heute beginnen die Gezeitenkonzerte! Ich selbst war in den vergangenen zwei Wochen wegen Aufnahmeprüfungen an Musikhochschulen nicht da gewesen, dieser plötzliche Umschwung traf mich mit voller Wucht.
Nach einer kurzen Begrüßung und einer etwas längeren (leider berechtigten) Gardinenpredigt fuhr ich gleich mit Uwe Pape zum Spielort des EÖK (Eröffnungskonzert), wie es bei uns so schön heißt. Die altehrwürdige Johannes a Lasco Bibliothek.
Vor Ort gab es noch etliches zu tun, zum Beispiel ein ungefähr 40 Kilogramm schweres E-Piano etliche Treppen raufzutragen. Untermalt wurde dieser Kraftakt von der melodiösen Alarmanlage zur Sicherung der in den Fluren ausgestellten Werke, deren Abschaltung im Vorfeld vergessen wurde. Des Weiteren wollen individuelle Platzkarten für die Besucher auf den Stühlen verteilt werden, das Catering für die Künstler muss durchgeführt werden et cetera pp. Daher verwunderte es mich auch nicht, dass unser eigentlich ganz beschauliches Gezeiten-Büroteam um einiges angewachsen war: Als unverzichtbare Hilfen hatten wir dieses Mal den Musikwissenschaftler Ulf (von dem auch ein noch lesenswerterer Blogbeitrag zum Konzert hier zu finden ist), Abiturientin Mareike, den zur Zeit noch nur hospitierenden Mohammed, Lothar und als Gast Simon mit dabei. Wir waren also bestens aufgestellt, als wir nach allen Vorbereitungen um 19:30 Uhr endlich mit dem Einlass beginnen konnten.
Nach einigen Begrüßungsworten durch unseren Präsidenten Rico Mecklenburg, den Ministerpräsidenten Stephan Weil und unseren künstlerischen Leiter Matthias Kirschnereit ging es dann los. Zum Glück stellten alle Redner fest, dass wir ja Musik hören wollten und nicht unbedingt das gesprochene Wort.
Zum musikalischen Part
Das Mendelssohn Kammerorchester Leipzig unter Andreas Mitschke, der später auch noch als Cembalist wirkte, machte seinem Namen daraufhin alle Ehre, indem sie mit der eher unbekannten Streichersinfonie N14 in c-Moll begannen. Eine exzellente Wahl meiner Meinung nach, da das Konzert eine musikalische Gegenüberstellung von Bach und Mendelssohn vornehmen wollte. Der erste Teil, Grave, kam sehr getragen daher. Die anschließende feurige und pfeffrige Fuge Allegro Molto erinnerte sehr stark an den großen Meister der Barockmusik. Faszinierend waren aber die Neuerungen, die Mendelssohn vornahm, zum Beispiel die Teilung der Viola in zwei Stimmen, was sonst eher unüblich ist. Die nächsten Werke kamen dann vom Vorbild: Bachs Violinkonzert in E und das Klavierkonzert in f-Moll. Hier kamen auch die beiden herausragenden Solisten zum Einsatz. Ingolf Turban eröffnete mit einem meisterlich vorgetragenen ersten Satz, der zur Freude aller mit sämtlichen Wiederholungen vorgetragen wurde. Mir gefiel die forsche Herangehensweise der Musiker. Jeder weiß, nach dem Allegro kommt oft noch ein Presto, bei dem man dann gerne mal in Schwierigkeiten gerät, wenn man sich gleich zu Beginn zu viel zutraut. Doch dem war nicht so. Diese Art der Interpretation gab dem schnellen Teil einen ganz neuen Pfiff. Puristen mögen einwenden, dass dies in dieser Geschwindigkeit und Spielart doch nie so aufgeführt wurde. Doch was zählt, ist der Klang, welcher einfach umwerfend war. Außerdem gewinnt diese Musik auf diese Weise vorgetragen eine Zeitlosigkeit.
Diesem furiosen Einstand stand das f-Moll Konzert mit Matthias Kirschnereit um nichts nach. Ich war wie gefesselt, sodass mir die erste Hälfte des Konzerts wie 2 Minuten vorkam. Tatsächlich waren aber fast 45 vergangen. In der Pause stärkten wir uns alle erstmal mit Suppe und kleineren Häppchen von Haase, um für das große Finale, das Doppelkonzert von Mendelssohn für Violine und Klavier bereit zu sein. Alle Künstler des Abends standen noch einmal auf der Bühne, 35 Minuten volle Konzentration. Nach dem Wirbelwind des letzten Satzes konnten viele Leute hinter mir ein „Klasse!“ nicht mehr zurückhalten. Der tosende Applaus verlangte nach einer Zugabe. Doch Mendelssohn sei „das pure Glück“, das man nicht mit einer Zugabe mindern wolle, so Turban. Wer will ihm da noch widersprechen?
Völlig beseelt fuhren wir dann nach getanen Aufräumarbeiten zurück. Gegen Mitternacht war ich hellwach zuhause. Schlafen ging erstmal nicht nach der ganzen Aufregung. Doch daran muss ich mich wohl gewöhnen, denn heute geht’s weiter. Die Sachen sind schon gepackt. The game is on.