Es ist fast wie kurz vor Weihnachten. Wir haben heute unser erstes imaginäres Türchen am Gezeitenkalender aufgemacht. Noch 24 Tage liegen vor uns, bevor es am 21. Juni um 20:00 Uhr mit den Gezeitenkonzerten 2013 losgeht. Kalendarisch geht damit der Sommeranfang einher. Dann gibt es in der Auricher Lambertikirche gleich zwei Quartette, die sich ins Zeug legen, uns eine furiose Eröffnung zu bereiten. Alle acht Mitglieder, sowohl vom Verdi als auch vom Vogler Quartett sind – ebenso wie wir vom Team – schon voller Vorfreude.Beide Quartette haben – neben der klassischen Besetzung – eine interessante Gemeinsamkeit: Sie wurden 1985 gegründet und haben sich in diesen 28 Jahren zu musikalischen Spitzenformationen entwickelt. Die Kollegen Gert Ufkes und Uwe Pape haben Anfang Januar bereits das Verdi Quartett kennen gelernt, als es zusammen mit Matthias Kirschnereit in Bremen in der Glocke aufgetreten ist. Die beiden waren sehr angetan, vor allem von der unglaublichen Konzentration und Spielfreude und der Herzlichkeit ihnen als Unbekannten gegenüber im Anschluss in der Künstlergarderobe.
An diesem Mittsommerabend beginnt das Verdi Quartett mit – große Überraschung – Giuseppe Verdi! Der großartige Komponist würde in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feiern. Bekannt ist er für seine großen Opern, die können und wollen wir bei den Gezeitenkonzerten (noch?) nicht wuppen. Allerdings ist dieses Streichquartett in e-Moll aus dem Jahr 1873 insofern etwas Besonderes als dass es Verdis einziges ist.
Danach spielen Stefan Fehlandt, der Bratschist aus dem Vogler Quartett und Zoltan Paulich, Cellist des Verdi Quartetts zusammen „Bukoliki“ von Witold Lutosławski – eine schöne Überleitung zum nachfolgenden Stück von Erwin Schulhoff, bei dem dann das Vogler Quartett übernimmt. Beide Komponisten eint, dass sie und ihre Werke für viele nicht so bekannt sind. Für mich sind sie gleich zu Anfang eine Entdeckung. Beide eint, dass ihre Werke zumindest zeitweise verboten waren. Lutosławskis wurden im kommunistischen Polen als „formalistisch“ eingestuft und Aufführungen daher verboten.
Erwin Schulhoff, Sohn jüdischer Eltern, der in Prag geboren wurde, wurde bereits als Siebenjähriger von Antonín Dvořák ans dortige Konservatorium empfohlen. Er gilt insbesondere als erster Komponist, der Elemente des Jazz in die europäische Kunstmusik integrierte (“Hot Music“ für Klavier, 1928). Im Jahr 1941 nahm er die sowjetische Staatsbürgerschaft an, wurde am 23. Juni 1941 in Prag interniert, nach Bayern deportiert und starb dort am 18. August 1942 im Lager Wülzburg bei Weißenfels. Das Vogler Quartett hat ihm eine eigene CD gewidmet.
Den krönenden Abschluss nach der Pause setzen beide Quartette gemeinsam mit der Aufführung von Felix Mendelssohn Bartholdys Oktett für Streicher Es-Dur op. 20 – eine Herausforderung für die beiden Formationen, die sie gerne annehmen. Einstudiert wird dieses Werk erst vor Ort in Aurich – wir freuen uns bereits über die formidable akustische Untermalung bei unserer Arbeit nebenan im Landschaftsforum.
Faszinierend an diesem Werk finde ich, dass Mendelssohn es bereits im Alter von 16 Jahren komponiert hat. Zu seiner Zeit war diese doppelte Streichquartettbesetzung ein Novum. Grundlage bot dem jungen Mann eine Szene aus Goethes „Faust“, aus dem „Walpurgistraum“ wie er seiner Schwester Fanny verriet.
Mehr zu den Werken lesen Sie im Abendprogramm zu dem Konzert. Ich danke Ulf Brenken, dass er es mir bereits zur Verfügung gestellt hat: Es hat mir großen Spaß gemacht, etwas über die Werke zu lesen.
Wer noch keine Karten für das Eröffnungskonzert hat, sollte sich vielleicht nicht mehr unbedingt 24 Tage lang Zeit lassen, sondern einfach in den nächsten Tagen bei uns im Landschaftsforum vorbeikommen oder anrufen: Gerne beraten wir Sie zu diesem und allen weiteren Gezeitenkonzerten.