Here it is: Mein letzter Blogeintrag für dieses Jahr. Das phänomenale Schlusskonzert der Gezeitenkonzerte übertraf die kühnsten SommerNachtsTräume aller Besucher. Kammermusik ist zwar schön und gut, aber dieses Konzert war einfach geil. Normalerweise benutze ich dieses Wort nie, das ist eine der höchsten Auszeichnungen, die ich kenne. Dabei waren wir vorher alle ganz schön nervös: So ein Abschlusskonzert ist eine große logistische Herausforderung. Das wunderschöne Friesenpferdegestüt des Gastgebers Helmuth Brümmer ist sehr weitläufig und kann von vielen Seiten gestürmt werden. Die Kartenkontrolle ist bei 1.400 Gästen auch nicht ganz so einfach, dann müssen alle pünktlich und unfallfrei durch zwei mittelgroße Eingänge in den Saal, dann gibt es vorbestellte Karten und und und…
Irgendwie klappt ja doch immer alles. Trotzdem war ich im Konzert ziemlich erschöpft, als Herr Mecklenburg zur Begrüßung ans Mikrofon trat. Neben vielen Sponsoren und Förderern wurde auch dem Team gedankt und applaudiert. Nach sieben Wochen und zwei Tagen, für mich wegen meiner Tätigkeit im Landesjugendchor noch etwas weniger, tut diese Anerkennung richtig gut. Nach einigen warmen Worten unseres künstlerischen Leiters trat dann das Orchester auf die Bühne, noch nicht ganz in voller Besetzung. Begonnen wurde mit Mendelssohns Ouvertüre zum „Sommernachtstraum“, ein sehr fröhliches Stück, das mit einer ungewöhnlichen Auftaktkadenz beginnt. Nach diesen leisen Bläserklängen folgen virtuose Figuren in den Streichern. Das Stück steigert sich immer mehr, bevor es in einem ruhigen, an den Anfang erinnernden Bläserthema auf einem wunderschönen Akkord ausklingt. Das Junge Philharmonische Orchester Niedersachsen (JPON) spielte blitzsauber und war sehr aufmerksam für die Wünsche ihres Dirigenten Andreas Schüller, was ungewöhnlich ist. Normalerweise wird „der Spinner da vorne“ gerne ignoriert, vor allem in Jugendorchestern. Hier war aber ein eingespieltes Team am Werk und dieses Zusammenwirken ergab eine sehr besondere Interpretation mit vielem jungen und frischem.
Der Klang in der Halle war gewaltig, ich saß in der letzten Reihe und hatte immer noch das Gefühl, die volle Dröhnung abzubekommen. Die erste Reihe war an diesem Abend wohl eher nicht empfehlenswert. Nach dem Mendelssohn wurde der Bläserapparat des Orchesters noch erweitert, denn jetzt stand etwas ganz besonderes auf dem Programm: „La mer“ von Claude Debussy. Ungelesen möchte ich an dieser Stelle jetzt schon den Blogbeitrag des Kollegen Ulf Brenken empfehlen, der für dieses Stück absolut schwärmt. Ich musste auf seine Frage „Kennst du es?“ mit nein antworten. Klar, schon mal gehört. Aber um es wirklich zu kennen, müsste man die Zusammenhänge erfassen, sich die Partitur und schlaue Ratschläge besorgen. Falls jemand was davon hat, gerne her damit!
Das knapp halbstündige Orchesterstück begann sehr langsam in den Bläsern. Unwillkürlich musste ich an viele Sonnenaufgänge denken, die ich bei zahlreichen Nordseeinsel-Urlauben erlebt habe. Ob Debussy schon mal auf Juist war? Im Laufe des ersten Satzes entfaltete die Sonne ihre ganz Kraft, zum ersten Mal war in der Reithalle der satte Sound von 120 Musikern zu hören. Gänsehaut pur. Der zweite Satz, das Spiel der Wellen, begann deutlich aufgewühlter. Trotzdem war die Musik sehr fein abgestimmt, man hatte nicht gerade den Eindruck einer Sturmflut. Im dritten Satz, einem Dialog zwischen Wind und Meer ging es dann richtig zur Sache, bevor das Stück klanggewaltig endete. Ein Hochgenuss!
In der Pause hatten wir nochmal Gelegenheit, das schöne Anwesen anzusehen und warmes und kaltes Essen und einige Getränke zu uns zu nehmen. Musikalisch ging es danach mit einem Riesenknaller weiter: Einem Orchesterzusammenschnitt aus 3 Wagner-Opern, nur ohne Sänger. Das ist meine Welt: Liebe, Tod, Kampf, Leidenschaft auf der Bühne, kurz: Die ganz große Geste.
Ich bin Wagner-Fan, von den Vorwürfen der Deutschtümelei halte ich wenig bis gar nichts. Wieder beginnt die Musik mit einem Bläserthema (hatten wir das nicht schon mal?), aber diesmal deutlich kraftvoller und unterschwelliger. 70 Minuten klingen erstmal lang, es waren aber gefühlte sieben. Bei Wagner gibt es keine langweilige oder sinnlose Musik, diese Orchesterfassung ist voll von solistischen Einschüben. In der Führung liegen meistens die Bläser, während die Streicher mit schnellen Läufen sekundieren. Die Bearbeitung ist absolut fließend, die Einblendung der jeweiligen Szenen daher sehr hilfreich. Auf siebzig Minuten eingedampft war der Ring deutlich bekömmlicher und keins der wichtigen Motive schien zu fehlen. Besonders der populäre Walkürenritt ließ meinen Puls schneller schlagen.
Nach dem apokalyptischen Ende der Götter im Feuerschein brandete Applaus auf. In Nullkommanichts standen 1.400 Besucher auf und veranstalteten einen Lärm, der das Orchester noch übertraf. Sogar eine Zugabe gab es noch, aber wie könnte man den Ring noch steigern?
Nach langen und intensiven Aufräumarbeiten (22 Minuten für 1.400 Stühle) waren wir am sehr späten Abend zuhause. Das war’s für 2016, mit dem Festival endet auch meine Zeit bei der Ostfriesischen Landschaft. Ich möchte an dieser Stelle nochmal allen danken, die den Gezeitenblog aufmerksam verfolgt haben und sich im Kommentar oder im Gespräch mit mir bei den Konzerten zu Wort gemeldet haben. Ich habe den Diskurs mit Ihnen, liebes Publikum, sehr genossen. Behalten Sie alle Ihre Offenheit für Musik und Menschen bei. Ich hoffe sehr, im nächsten Jahr in den Semesterferien in irgendeiner Funktion nochmal zum Team dazuzugehören! Vielleicht wird man ja nochmal den einen oder anderen Blogbeitrag lesen, denn niemals geht man so ganz…Bis bald!