Sankt-Materniani-Kirche in Ochtersum

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Kirche Ochtersum, Foto: Dirk Lübben
Kirche Ochtersum, Foto: Dirk Lübben

Ochtersum liegt am Rande der Geest zur Marsch hin und besteht aus den Ortsteilen Ostochtersum und Westochtersum, wo sich die Kirche befindet. Der spätromanische Backsteinbau, wahrscheinlich um Mitte des 13. Jahrhunderts errichtet, wurde dem Heiligen Maternus, dem ersten namentlich bekannten Bischof von Köln (bezeugt als Teilnehmer zweier Synoden 313 und 314) geweiht. Späteren Legenden nach soll er ein Schüler des Petrus gewesen sein. In Deutschland gibt es außer in Köln nur wenige Maternus- oder Maternianus-Kirchen, im Elsass findet man sie häufiger. Seinen Name bekam das Gotteshaus wahrscheinlich nach der ursprünglichen Glocke, deren lateinische Inschrift übersetzt lautete: „Zu Ehren des Heiligen Maternianus 1274“. Diese älteste bekannte Glocke Ostfrieslands wurde leider im 19. Jahrhundert umgegossen.

Die Kirche ist eine so genannte Sendkirche, der die Kirchen von Westerholt, Dornum, Westeraccum und Roggenstede unterstanden. Was die Aufgaben einer Sendkirche waren, lässt sich aus der von Menno Smid verfassten Ostfriesischen Kirchengeschichte (1974) entnehmen. Er zitiert hier aus der Rüstringer Rechtshandschrift:

„Das Sendgericht hat neben der Aufgabe, in den ihm vorbehaltenen Rechtsgebieten Recht zu sprechen, in manchem den Charakter einer Visitation. Zuerst soll es der Kirche (…) zu ihrem Recht verhelfen, wenn diesem in irgendeiner Gegend Unrecht zugefügt wurde. Dann hat der Priester unter Eid auszusagen über die Kirche und den Kirchhof und über alles, was innerhalb des geweihten Kirchplatzes geschieht. Dann folgt die Aufzählung der Punkte, die das Sendgericht zu bestrafen hat, einschließlich der Höhe der Strafen. Genannt werden Totschlag und Verwundung in der Kirche und auf dem Kirchhof, Aufbrechen der Kirche (…)“

Der Kirchenbau ruht auf einem Sockel aus Granitquadern. Die Ostapsis wurde 1675 durch einen Blitzschlag zerstört und der Chor bekam später einen geraden Abschluss. Die schmalen hoch sitzenden Spitzbogenfenster haben eingestellte Rundstäbe, sie deuten schon auf den Stil der Gotik hin, die mit ihrem runden Bogen noch sehr romanisch anmutende Tür der Südwand ist von sorgfältig bearbeiteten Granitsteinen eingefasst.
Südwestlich der Kirche steht ein Glockenturm aus dem 13. Jahrhundert, mit dem es seine besondere Bewandtnis hat.

Der recht klobig wirkende Turm hatte einst einen Durchgang. Später wurde dann der äußere Zugang geschlossen. Es entstand ein etwas 5 Quadratmeter großer, fensterloser Raum. Hier hatte von etwa 1680 bis 1826 die Dorfschule ihren Platz! Und das, obwohl der Turm 1680, wie die Akten belegen, „sehr baufällig“ und 1698 „zerborsten“ war . 1699 drohte „das Gewölbe über der Schule gegen Norden“ einzufallen, sieben Jahre später bestand die Befürchtung, die Kinder könnten „von dem greulichen und … einsinkenden Gewölbe befallen werden.“ Erst 20 Jahre später kam es zu einer notdürftigen Ausbesserung. 1816 erst wurde das Gewölbe abgetragen und ab 1831 fand der Unterricht dann im westlichen Kirchenschiff statt, weil es in Ochtersum und den Dörfern drum herum inzwischen 100 Schüler gab. Eine Dorfschule bekam Ochtersum erst 1866.

Das Innere der Kirche war mit vier quadratischen Jochen überspannt, Schildbögen und Reste der Wandvorlagen deuten darauf hin. Wahrscheinlich mussten sie im 15. Jahrhundert durch eine flache Decke ersetzt werden, weil die Mauern dem Druck der Gewölbe wie in vielen ostfriesischen Kirchen nicht mehr standhalten konnten.
Zwischen Chor und Schiff befand sich bis 1966 eine spätgotische Quermauer von 2.20 Metern Höhe mit einer Orgelempore. Es gab einen bogenförmigen Durchgang zum Chor und die Seitenteile hatten in der Höhe von 1.30 Metern bogenförmige Öffnungen. Eine solche Mauer, die hier nur noch in den Seitenteilen von 1 Meter Höhe zu erkennen ist, diente zur Aufstellung von Seitenaltären.
Der Flügelaltar zeigt einfache Gemälde von 1740. Auf der mittleren Tafel sind Abendmahl und Kreuzigung, auf den Seitentafeln Szenen aus dem Leben Jesu dargestellt.

Der Taufstein aus Bentheimer Sandstein mit ornamentalen Verzierungen an der Kuppa ruht auf von der Zeit sehr mitgenommenen Löwen, die dem Betrachter ihre drohend geöffneten Mäuler zeigen. Sie stellen das Teuflische dar, das durch die Taufe überwunden wird. Das Taufbecken stammt aus der Zeit zwischen 1220 und 1240 und wurde, wie fast alle Taufbecken des Bentheimer Typ, wahrscheinlich bereits bei den Steinbrüchen hergestellt und nach Ostfriesland transportiert.

Auf einer modernen Westempore erhebt sich seit dem Umbau der Kirche 1966-68 der Orgelprospekt von seltener Schönheit, 1734-37 vom Orgelbaumeister Klausing aus Herford erbaut. Vom hohen Mittelturm aus, der die Basspfeifen enthält, gruppieren sich, nach außen hin abfallend, die übrigen Pfeifenfelder und -türmchen, wobei die kleinsten Pfeifen in zweistöckigen Spitztürmchen angeordnet sind – ein typisches Merkmal des westfälischen Orgelbaus. Wie viele andere Orgeln in Ostfriesland hat auch sie im Laufe der Zeit viele entstellende Veränderungen über sich ergehen lassen müssen. 1972/73 konnte ihr der Orgelbauer Jürgen Ahrend aus Leer-Loga durch seine Restaurierungsarbeiten ihren frischen, ursprünglichen Klang zurückgeben. Seitdem gehört das Instrument zu den überregional bedeutenden Klangdenkmälern Ostfrieslands.

Text: Monika van Lengen

Über die 125 romanischen und gotischen Kirchen in Ostfriesland erschien 2011 ein mit vielen Fotos ausgestattetes Buch von Justin Kroesen und Regnerus Steensma: Kirchen in Ostfriesland und ihre mittelalterliche Ausstattung.

Dem Text über die Orgel liegt die Beschreibung aus dem Werk: „Orgellandschaft Ostfriesland“ (Norden 1995) von Harald Vogel und Reinhard Ruge zu Grunde.

Die Daten zur Dorfschule im Glockenturm wurden dem Werk von Robert Noah: Die mittelalterlichen Kirchen im Harlingerland von 1969 entnommen.

Sankt-Materniani-Kirche Ochtersum
Siefke-Kunstreich-Straße
26489 Ochtersum

Kirche Ochtersum, Foto: Dirk Lübben
Kirche Ochtersum, Foto: Dirk Lübben

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