Fünf in rosa gekleidete Herren überwiegend mittleren Alters erstürmten am Dienstagabend die Bühne in der mit 350 Plätzen vollbesetzten Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Wer traut sich so etwas? Götz Alsmann und seine Band. Diese Formation in die Gezeitenkonzerte zu integrieren, war ein Herzenswunsch des künstlerischen Leiters Matthias Kirschnereit, der ausgerechnet bei diesem Auftritt leider nicht dabei sein konnte.
Schlicht „Broadway“ heißt das aktuelle Programm des fantastischen Entertainers und Musikers Götz Alsmann. Den Traum, einmal nach New York zu fliegen, hat wohl jeder Jazz-Musiker, der sich mit Werken der großen Meister wie Cole Porter oder Nat King Cole und weiteren Zeitgenossen beschäftigt. Für Götz Alsmann wurde er wahr durch eine Studioeinladung von Blue Note Records. Neben den Kompositionen der Jazz-Stars der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in deutscher Sprache gesungen und fantastisch instrumentiert wurden, gab es zahlreiche Anekdötchen und Hintergrundinformationen zu New York, dem Broadway, dem American Songbook und mehr. Die bonbonfarbenen Anzüge mit dem schwarzen Samtkragen sind beispielsweise einem gezielten Einkauf in New York geschuldet, noch bevor die Herren das Studio von innen gesehen hatten.
„Everything happens to me“ von Matt Dennis wird bei Götz Alsmann zum hinreißend dahingeschluchzten „Alles passiert immer mir“, „Nature Boy“, die Geschichte eines Wanderpredigers von Nat King Cole von 1948 soll einfach mal verständlich, das heißt auf Deutsch daherkommen. „My favorite things“ von Hodgers und Hammerstein, ein Lied aus dem 1959 entstandenen Musical „The Sound of Music“ wird dann kurzerhand mal zu „Meine kleinen Schwächen“.
“My Fair Lady” diente Götz Alsmann als Vorlage zur Vorstellung seiner Band. Da wurde kurzerhand dem Lustmolch, der Eliza Doolittle den Hof machte, Rudi Marhold zugeordnet. Der weise Mann im Hintergrund, Altfrid Maria Sicking, wurde zu Prof. Henry Higgins. Das 18-jährige Blumenmädchen Eliza wurde ehrenvoll Markus Paßlick; ihr Vater, der Schnorrer und Alkoholentsorger Alfred P. Doolittle wurde dem Tonmeister Helmut Philipps zugeteilt. Zusammen hätten sie mit Götz Alsmann vermutlich die ganze Nacht hindurch tanzen können.
Schuld an Götz Alsmanns Liebe zu Jazz-Schlagern und ausgefallener Mode ist eigentlich Big Bobby Bingo. Denn Big Bobby Bingo war als Pausenmusiker für Modeschauen von Otto in der Nähe von Münster engagiert worden, zu der der kleine Götz seine Mutter begleiten durfte, die dort mit ihren Freundinnen frei Kaffee und Kuchen genoss. Nach einem Auftritt fasste sich der Junge ein Herz und sprach Big Bobby Bingo an, als der draußen mit seinen gelben Fingern eine Zigarette drehte. „Mr. Bingo, sind Sie wirklich Amerikaner?“ „Na sischer dat, mein Jung!“, war die Antwort. Sein Rat an den kleinen Götz war, wenn er wirklich zum Broadway wolle, müsse er lernen, lieben und leben. Zum Abschied machte er ihm wohl das wichtigste Geschenk seines Lebens, das Liederbuch von Cole Porter. Von diesem folgte entsprechend auch „C’est magnifique“.
Das Publikum, in diesem Fall war naturgemäß ein großer Prozentsatz der „normalen“ Gezeiten-Gäste darunter, aber eben auch völlig unbekannte Gesichter, war sehr begeistert. Allein die Lautstärke machte einigen zu schaffen, aber das gehörte für die meisten dennoch dazu. Ein junges Pärchen hatte zufällig um 18:11 Uhr ganz spontan die letzten beiden freien Tickets übers Internet ergattert. Eigentlich war der Abend seit langem ausverkauft und Karten werden vom Team der Gezeitenkonzerte nicht zurückgenommen, es sei denn, es handelt sich – wie in diesem Fall – um Sponsorentickets. Die beiden kamen aus Wildeshausen und hatten es telefonisch bei uns schon zuvor erfolglos versucht. Durch Zufall war er noch einmal auf die Seite gegangen. Dann kam nur die Frage: „Bist Du spontan?“ Der Zusage folgten die Bestellung und eine rasante Fahrt im Mercedes-Cabrio nach Emden.
Die älteren Herrschaften waren restlos begeistert, hatten sie doch in ihren jungen Jahren die Originalstücke so oft gehört wie es nur ging. Viele hätten sie sogar – allerdings auf Englisch – mitsingen können.
Nach der Pause nahm das Programm noch ein wenig mehr Fahrt auf und wurde etwas dichter. Ein Potpourri aus „A foggy day in London“ (George Gershwin), „My funny Valentine“ (Richard Rodgers) im Paso Doble-Rhythmus und „From this Moment on“ von Cole Porter machte den Auftakt, bevor Götz Alsmann das Publikum mit ins Haus, in dem das Sear Sound CD-Studio in New York lag, nahm. Im selben Haus waren auch Casting-Studios untergebracht, mit deren jungen, hübschen Bewerberinnen sich die Herren des Öfteren konfrontiert sahen. Und so kam es, dass Götz Alsmann sich im Traum vor einer Jury, besetzt durch u. a. Fred Astair, Cole Porter, Jerome Kern und Dieter Bohlen gegenüber sah, die nicht wusste, ob er lieber singen oder tanzen sollte.
Die vier Begleitmusiker der Götz Alsmann Band sind absolut sehens- und hörenswert: Altfrid Maria Sicking spielt fast so viele Instrumente wie Götz Alsmann selbst und spielt so neben Vibraphon und Xylophon (letzteres ist ja leider immer noch ein von vielen völlig unterschätztes Instrument) auch Trompete. Ingo Senst vertrat an diesem Abend den Bassisten Michael Müller, machte aber den Eindruck, fester Bestandteil der Band zu sein. Rudi Marhold stieg erst 1992 als Schlagzeuger in das Ensemble ein. Percussionist Markus Paßlick durfte nicht nur sein Instrumentarium bedienen, sondern bekam nach der Pause auch „Rederecht“ und unterhielt mit einer umgemodelten Geschichte über die Hauptfiguren Opa, das Phantom und Glatze, dem früheren Hauptdarsteller bei „Hair“, in der auch noch Angelika Milster mit „Erinnerung – ich kann mich nicht mehr erinnern (einer Persiflage auf Memories) und Helene Fischer und Götz Alsmann als „Die Schöne und das Biest“ vorkamen, die „Atemlos durch die Nacht“ verschwanden.
Beim letzten ‚offiziellen’ Stück legten sich die fünf Musiker noch einmal ordentlich ins Zeug: „Der Wolf tanzt Cha Cha Cha“ – mit Tanzeinlage vom eigentlich Tanzstunden-traumatisierten-nicht-Tänzer Götz Alsmann und Altfrid Maria Sicking – blieb noch lange im Ohr und auch im Kopf. Hier im Büro kommt es immer noch vor, dass jemand den Refrain vor sich hin pfeift oder singt. Zugrunde liegt der „Cha Cha Cha du Loup“ von Serge Gainsbourg und Alain Goraguer. Unter tosendem Applaus gingen die Musiker von der Bühne ab. Zurück kam Götz Alsmann mit seiner Ukulele und dem leise rauschenden Missouri (Michael Jary): zum Piepen! Nach einer weiteren Solo-Zugabe kam dann noch einmal die gesamte Band zum Einsatz und mit einem auf Emden umgemünzten Stück ging dieses ganz andersartige Gezeitenkonzert zu Ende.