Klaviertrio-Konzert bei Pollmann & Renken in Aurich-Schirum
Ein weiterer, besonderer Spielort der Gezeitenkonzerte tat sich vor mir auf, als ich im Team-Bully auf das Betriebsgelände im Gewerbegebiet etwas südlich von Aurich gefahren wurde. Pollmann & Renken – eine Firma, die sich mit dem Verkauf von Fenstern, Türen und Wintergärten beschäftigt und dafür ein eigenes Gebäude mit entsprechend viel Ausstellungsfläche belegt. Für unser Konzert, das vorletzte der diesjährigen Festspielsaison, wurden Ausstellungsflächen frei geräumt und die Fläche bestuhlt, zum zweiten Mal nach 2014. Zweihundert Besucher fanden Platz, auch auf der Galerie wurde eine Stuhlreihe eingerichtet. Die Einspielprobe der drei Musiker ließ bei „trockener“ Akustik (Nachhall: quasi nicht messbar) einen musikalisch aufregenden Abend erwarten. Schöne und kurze Begrüßungsreden von Firmeninhaber Meenke Pollmann und Landschaftspräsident Rico Mecklenburg, dann begann die Musik.
Fenster
Sergej Rachmaninoff schrieb sein erstes, einsätziges Klaviertrio (in g-Moll, „Trio élégiaque“) 1892, also ein Jahr vor dem Tod von Peter Tschaikowsky. Wie sehr er den Mentor schätzte, ließ er der Nachwelt im Folgejahr wissen, als er dann zu seinen Ehren sein großes, zweites Klaviertrio komponierte. Das erste enthält tatsächlich noch mehr Reminiszenzen an Tschaikowskys Musik, als ich beim bisherigen Hören wahrgenommen hatte. Motive aus der fünften Sinfonie schimmern durch, andere Floskeln sind einfach nur typisch – als ob sich ein Fenster zu Tschaikowskys Musikwelt geöffnet hätte. Dass es sich um ein (opuszahlfreies) Frühwerk handelt, merkt man an der unausgeglichenen Aufteilung der drei Instrumente, denn es kam immer wieder zu Episoden, die wahlweise einer Violin- oder einer Cellosonate gut zu Gesicht gestanden hätten. Ein wirkliches Klaviertrio ist das „Trio élégiaque“ noch nicht – vielleicht blieb es auch deshalb ein einsätziger Versuch.
Türen
Dmitri Schostakowitsch schrieb sein zweites, viersätziges Klaviertrio (in e-Moll, op. 67) 1944, mitten im Großen Vaterländischen Krieg in der Sowjetunion. Geschockt vom plötzlichen Herzanfall-Tod seines Freundes, des Musikwissenschaftlers Iwan Sollertinski, entstand zwischen Februar und August des vorletzten Weltkriegsjahres ein Musikstück, das so ergreifend ist, dass ich es nur unter Tränen anhören konnte – und das sogar schon vorher wusste! Die drei Musiker, die sich an diesem besonderen Abend dieser besonderen Musik annahmen, waren Alexandra Conunova (Violine), Andrei Ioniţă (Violoncello) und Lilit Grigoryan (Klavier). Das Klaviertrio aus Moldawien, Rumänien und Armenien ist zusammen erst 81 Jahre alt und damit zusammen jünger als etwa Alfred Brendel. Dennoch vermochten sie es, die Abgründe der Schostakowitsch-Musik auszuspielen und das Publikum in den Bann zu ziehen. Spätestens der dritte Satz, eine Passacaglia, deutet an, wo die Reise enden wird. Die grauenerregende, jüdische Trauermusik des Schlusssatzes bekam ich trotz Pausenablenkung und einem Glas Rotwein minutenlang nicht aus dem Kopf. Der versöhnliche Schluss in Dur scheint eigentlich nicht zu passen, aber andererseits ist es so einfach: „Das ist das Danach“, sagte mir dazu später Alexandra Conunova. Als hätte Schostakowitsch musikalische Türen zum Jenseits geöffnet.
Wintergärten
Peter Tschaikowsky schrieb sein einziges, zweisätziges Klaviertrio (in a-Moll, op. 50) 1881 bis 1882. Nachdem er vom Tod Nikolai Rubinsteins erfahren musste, schrieb er ihm zu Ehren ein großangelegtes Werk, das etwa fünfzig Minuten Spieldauer einnimmt. Rubinstein war ein ausgezeichneter russischer Komponist, Dirigent und Mitbegründer der Konservatorien in St. Petersburg (1862) und Moskau (1866). Tschaikowsky orientierte sich mit Hilfe eines dominierenden Klaviersatzes an seiner freundschaftlichen Beziehung zum Verstorbenen, was sich nicht nur im ersten Satz (Pezzo elegiaco) bemerken ließ. Der zweite Satz, eine Art musikalischer Wintergarten mit Ausblick auf verschiedene Grünflächen, ist eigentlich wiederum geteilt in einen Variationssatz und ein Finale. Die drei Interpreten, zusammen ein eingespieltes Team, die jedoch selten Gelegenheit finden, so intensiv miteinander zu proben, wie sie es sich wünschen würden, wühlten sich voller Energie in die Musik Tschaikowksys. Mit hoher Trefferquote wurden die technisch schwierigen Passagen gemeistert, das Stück fand am Ende in den Trauerduktus des Anfangssatzes zurück – und das wieder einmal faszinierend konzentrierte Publikum honorierte den verklingenden Schluss, den hier das Klavier allein spielen darf, mit bedächtigem Schweigen, bevor verdienter Applaus aufbrandete. Standing ovations, eine Zugabe – noch einmal der zweite Satz, das Fis-Dur-Scherzo aus dem zweiten Schostakowitsch-Klaviertrio – dann war der Abend vorbei. Eine Zuhörerin meinte zu mir, das sei mit das musikalisch Beste gewesen, was sie in dieser Saison bei den Gezeitenkonzerten gehört habe. Ich war zwar nur bei einer Handvoll Konzerten dabei, aber das dürfte ausreichen, um ihr nicht zu widersprechen.