Die Gezeitenkonzerte kommen gewaltig mit „Sturm und Klang“
Am Dienstagvormittag wurden bei einem Pressegespräch in der Ostfriesischen Landschaft die 32 Gezeitenkonzerte vorgestellt. Und das ist auch gut so! Die Anrufe, wann denn endlich das Programm erscheint, mehren sich. Der offizielle Vorverkauf beginnt am kommenden Montag (27.2. um 09:00 Uhr). Sämtliche Informationen wurden am Mittwoch direkt von der Druckerei bei der Post eingeliefert. Da es sich bei der Menge um Infopost handelt, kann es aber noch bis zum Wochenende dauern, bis die entsprechenden Briefe in den Haushalten eintrudeln.
Wenn Sie also Montag bei uns Ihre Karten bestellen möchten, könnte es also sein, dass auch andere die gleiche Idee haben. Im Landschaftsforum sind alle verfügbaren Kräfte versammelt, um dem Ansturm Stand zu halten. Bitte haben Sie ein wenig Geduld. Erfahrungsgemäß kommt es an den ersten Vorverkaufstagen zu Wartezeiten.
Bei Tee und Krintstuut begrüßte Landschaftspräsident Rico Mecklenburg die anwesenden Pressevertreter und zitierte noch einmal Ministerpräsident Stephan Weil, der im vergangenen Jahr als Schirmherr beim Auftaktkonzert in Emden die Gezeitenkonzerte als neuen Komet am niedersächsischen Festivalhimmel bezeichnet hatte. Zwar werde es vermutlich mit einem Besuch des Festivals nichts, aber die Schirmherrschaft habe er dennoch gerne ein weiteres Mal übernommen.
Matthias Kirschnereit hatte diesen Tag schon länger herbei gesehnt, war es für ihn doch das erste Wiedersehen mit Ostfriesland in diesem Jahr. Voller Elan schaffte er es, fast sämtliche 32 Gezeitenkonzerte eines Wortes zu würdigen. Und wie schon im vergangenen Jahr stellte sich im Anschluss die Frage: Welches der diesjährigen Konzerte möchte ich eigentlich nicht besuchen? Die Vielfalt und die Dichte an Weltstars im kleinen, beschaulichen Ostfriesland sind schon sehr spannend und ziemlich einzigartig.
„Sturm und Klang“ ist ja das diesjährige Motto des Festivals. Natürlich entstand es ursprünglich aus einem Wort- und Denkspiel zu „Sturm und Drang“. Das hätte uns aber sehr auf eine Epoche festgelegt, auch wenn bestimmte Elemente (literarische Strömung junger Schriftsteller) durchaus zu den Gezeitenkonzerten passen. Das Stürmische sollte unbedingt bleiben, schließlich passt es zu Ostfriesland und den Gezeiten: Wir sind stürmisch, jung, kreativ, innovativ und folgen einem inneren Drang – und dem Klang! Die Langen Nächte der Gipfelstürmer sind das erste, was einem als Kenner da spontan einfällt. Diese sind wild, manchmal zerzaust und absolut positiv besetzt, wie auch die anderen Gipfelstürmer-Konzerte. Wenn man da an das Titelbild denkt, auf dem sturmverwuschelt Raphael Paratore, Philipp Wollheim und Verena Metzger teilweise mit Gummistiefeln, aber auch barfuß im Watt vor Dangast stehen, passt das Motiv perfekt zum Thema.
Wenn man den Sturm als Allegorie für die allerhöchste Qualität des Windes in Relation zu den Künstlern setzt, ist es schon enorm, was für Größen 2017 sich in siebeneinhalb Wochen in Ostfriesland die Klinke in die Hand geben. Die Pianisten Grigory Sokolov, Alice Sara Ott, Leif Ove Andsnes, dann die Sängerinnen Angelika Kirchschlager, Juliane Banse und Nuria Rial; Klarinettistin Sabine Meyer… Wir sind mit 32 Konzerten ein kleines Festival. Der Etat ist ebenfalls nicht riesig. Und dennoch bieten wir eine stürmische Vielfalt. Musik aus der Lutherzeit gibt es an einem Wochenende geballt: Einmal dargeboten vom Knabenchor Hannover zusammen mit einer Jazzband in der Ludgerikirche Norden, am Folgetag spielt Concerto Foscari gleich zwei Programme – eins davon für Kinder – zum Thema Reformation in Neustadtgödens, einem der spannendsten kleinen Orte auf der ostfriesischen Halbinsel mit einer unvorstellbaren Dichte an Gotteshäusern.
Sehr modern wird es hingegen beim Komponistenporträt mit Jan Müller-Wieland in der Kunsthalle Emden, wo es zugleich ein oder zwei Uraufführungen gibt.
Natürlich machen sich die Gezeitenkonzerte immer wieder Gedanken, wie welches Format wo präsentiert werden kann. Es gibt den Klassiker: Grigory Sokolov kommt auf die Bühne, das Licht geht aus, es gibt eine absolut spärliche Beleuchtung. Im Gegensatz dazu gehen wir 2017 das erste Mal ohne Netz und doppelten Boden raus, und dann auch noch auf ein Schwimmbad-Gelände. Anlass ist das 80-jährige Jubiläum des van-Ameren-Bades in Emden, wo Mathias Eick mit seinem Quintett auftritt. Die Musiker spielen überdacht; für die Besucher gibt es bei Bedarf Regenponchos. Beim Auftritt von 10forBrass in Wiesmoor geht es nach Möglichkeit raus, aber die Blumenhalle bietet Schutz vor Regen und Wind.
Zusätzlich zum Wort- und Musik-Programm vom bekannten Schauspieler Stefan Kurt, musikalisch begleitet von Ulf Schneider (Violine) und Stephan Imorde (Klavier) zu Lorca in Aschendorf gibt es erstmalig auch Literatur und Musik nacheinander. Matthias Kirschnereit hat Helmut Thiele mit seiner Interpretation von Süskinds „Der Kontrabass“ schon zweimal erlebt und hatte schon immer den Wunsch, ihn zu den Gezeitenkonzerten zu holen. Nun hat es geklappt! Im Hayungshof in Dunum präsentiert der Schauspieler lang, launig und tiefsinnig das harte Los des Kontrabassisten, für den es außer im Forellenquintett von Schubert so gut wie keine Soli gibt. Als Krönung spielt das mehrfach mit dem ECHO Klassik ausgezeichnete fabergé – quintett in der Kirche nach einer Pause eben dieses Forellenquintett, das in den vergangenen fünf Jahren noch nicht bei den Gezeitenkonzerten zur Aufführung gelangt ist. Die vier Musiker des NDR Elbphilharmonie Orchesters, ergänzt um Matthias Kirschnereit, freuen sich riesig.
Moderierte Konzerte gab es bereits einige seit 2012. In diesem Jahr kommen launige Kompositionen beim Gezeitenkonzert in Norden-Bargebur. Sie werden interpretiert von den beiden Geigern Christian Ostertag und Ingolf Turban zusammen mit Matthias Kirschnereit am Klavier. „Und wenn Ingolf Turban moderiert, liegen schon mal die Gäste vor Lachen unterm Tisch!“, machte Matthias Kirschnereit Lust auf mehr.
Zum 80sten Todestag von Maurice Ravel gibt es ein echtes Lecture-Konzert von Ulf Brenken mit Publikumsliebling Vasyl Kotys am Klavier und dem in letzter Minute eingesprungenen Bariton Maciej Kozlowski im Rittersaal vom Wasserschloss Dornum. Das ist dann eine von fünf neuen Spielstätten in diesem Jahr.
Nach dem Cello-Schwerpunkt im letzten Jahr hat sich nun ein heimlicher Violin-Schwerpunkt einfach so ergeben. Gleich zu Beginn verstärkt die Violinistin Tanja Becker-Bender Solisten der Kammerphilharmonie Bremen beim Auftaktkonzert, Lena Neudauer spielt das zweite Konzert zusammen mit der Hong Kong Sinfonietta, dem wohl profiliertesten und interessantesten Orchester Asiens, in Leer. Ingolf Turban und Christian Tetzlaff sind dem Gezeiten-Publikum bereits wohl bekannt. Der historischen Aufführungspraxis hat sich der belgische Geiger Sigiswald Kuijken verschrieben. Er spielt in der Kirche mit dem schiefsten Turm der Welt, in Suurhusen, mit seinem Quartett. Dann hat sich nach Drucklegung des Programms noch eine Änderung ergeben. Die Geigerin des ATOS Trios, Annette von Hehn, erwartet im Sommer ihr Kind. Eingesprungen ist keine geringere als Antje Weithaas. Mit Ulf Schneider, Elisabeth Kufferath und Volker Jacobsen wird die Kooperation mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover fortgeführt.
Eine intensive Kooperation gibt es von Beginn an mit dem Partnerfestival Peter de Grote in und um Groningen. In diesem Jahr bestreitet das Noord Nederlands Orkest aus Groningen unter der Leitung von Per Otto Johansson mit Sängerin Fay Claassen die Gezeiten-Classixx im Routenzugbahnhof im Volkswagen Werk Emden. Programmänderungen sind dort in diesem Jahr nicht zu erwarten.
Mit Hingabe und Begeisterung gibt es mit dem Jungen Philharmonischen Orchester Niedersachsen (JPON) einen stürmischen Abschluss in der Reithalle des Polderhofes – Friesenpferdegestüt Brümmer in Bunderhee.
Matthias Kirschnereit bedankte sich zum Abschluss seines kurzweiligen Monologs ausdrücklich bei den zahlreichen Förderern aus der Region, die die Gezeitenkonzerte erst ermöglichten. Das Festival werde von der Basis getragen, was sich auch an der Mitgliederzahl des Freundeskreises festmachen lasse, der zurzeit mehr als 430 Mitglieder umfasse. Er freue sich darauf, die Region („Nordsee macht mich glücklich!“) mit Musik zu erfüllen und für beglückende, schöne und bereichernde Momente zu sorgen. Auch der Presse galt sein Dank für die wohlwollende, aber auch kritische Begleitung der Gezeitenkonzerte. Sein Traum seien 32 sehr gut besuchte Konzerte, am liebsten wären sie ihm alle ausverkauft.
Im Anschluss blieb Rico Mecklenburg noch der Dank an das bewährte Organisations-Team des Landschaftsforums, dem er viel Kraft für diese anstrengenden acht Wochen im Sommer wünschte, in denen es ja quasi Tag und Nacht im Einsatz sei.
Dann übergab er das Wort an Thomas Weiss, Vorstandsvorsitzenden der Ostfriesischen Landschaftlichen Brandkasse, die Hauptförderin und verlässlicher Partner der Gezeitenkonzerte ist.
Thomas Weiss erklärte, dass das Selbstverständnis der Gezeitenkonzerte, die Bewahrung der Tradition mit Blick auf die Zukunft gleichzeitig dem genetischen Code der Brandkasse entspreche. So leisten beide Gutes für die Region. Er persönlich könne es kaum erwarten, dass es wieder losgehe! Die Gezeitenkonzerte bewiesen seiner Meinung nach spürbar Mut, indem sie immer wieder experimentierten und damit die eingefahrenen Bahnen verließen, so sein Statement. Und diese Anfassbarkeit der Musiker durch die kleinen, intimen Räume und die Künstler, die sich ganz und gar mit ihrer Musik dem Publikum hingäben, sodass der Funke überspringe, seien ein guter Grund, weiterhin auf die Tradition zu bauen.
Auch 2017 wird die TONALi-Tour weitergehen. Aktuell wird noch nach Partnerschulen gesucht, in denen Schülermanager ausgebildet werden, die dann eigenständig Konzerte mit TONALi-Künstlern organisieren.
Rico Mecklenburg wurde nun schon seit drei Jahren von der Stadt Wiesmoor belagert, wann es denn endlich dort Gezeitenkonzerte gebe. Sogar in der Rede zu einer Ausstellungseröffnung nahm Bürgermeister Völler noch einmal Bezug darauf. Und die Sponsoren hat die Stadt dann auch gleich mitgebracht. Genauso war es auch in Neustadtgödens und Suurhusen, wo die Kirchengemeinden sich um die Sponsorenakquise gekümmert haben. Der Landschaftspräsident bemerkte, dass allerdings die Anzahl der Gezeitenkonzerte auch künftig auf die Zahl 32 begrenzt sei, was natürlich dazu führe, dass manche Spielstätten warten oder auch mal aussetzen müssten, was zu Enttäuschungen führe – sogar bei Förderern.
Dirk Lübben, organisatorischer Leiter des Festivals, erklärte, dass wir in diesem Jahr sehr früh mit dem Programm auf den Markt kommen konnten, zur eigenen Überraschung des Teams. Die Fristen für die Förderanträge seien rechtzeitig gewahrt worden, wodurch auch die Zusagen früher erfolgen konnten. Dann blieb das gefühlt ewig währende Puzzle-Spiel, welcher Künstler an welchem Spielort auftreten könne und wer das Gezeitenkonzert fördere.
Früher als gedacht, löste es sich auf, sodass wir schon am Montag, dem 20. Februar 2017, den bevorzugten Kartenvorverkauf für die Mitglieder der Freunde der Gezeitenkonzerte starten konnten. Für sie hatten wir zuvor eine Teilauflage bei der Druckerei abgeholt und versandfertig gemacht. Die Postaussendung für die über 7.000 Adressen im Verteiler war für Mittwoch terminiert, sodass zum offiziellen Vorverkaufsbeginn am Montag hoffentlich alle Interessenten ihr Programm in den Händen halten.
Die Preise sind moderat geblieben. Weiterhin gibt es die Eintrittskarten für Schüler*innen, Studierende und Freiwillige im sozialen oder kulturellen Jahr für 5,00 Euro gegen Vorlage eines Nachweises. Das Verhältnis zwischen Einnahmen aus Eintrittskartenverkäufen und Einnahmen aus Sponsorengeldern liegt bei 40 zu 60 Prozent.
Unser Kulturpartner NDR Kultur hat Mitschnitte angekündigt, genauso wie der Deutschlandfunk.
Sehr froh sind wir darüber, dass das Volkswagen Werk Emden uns weiterhin den Fuhrpark für acht Festival-Wochen sowie den Routenzugbahnhof im LOC für die Gezeiten-Classixx zur Verfügung stellt.
Auf Rückfrage seitens der Presse, wann denn das erste Gezeitenkonzert für 2017 festgestanden habe und wer der Künstler sei, antwortete Matthias Kirschnereit ganz spontan: „Sokolov!“ So einen Weltklassekünstler mit wahnsinnig vielen Konzerten im Jahr engagiere man nicht mal eben ein halbes Jahr vor Festivalbeginn. Dafür war er allerdings auch derjenige, auf dessen zweite Programmhälfte wir am längsten warten mussten.
Ina Wagner von der Emder Zeitung blieb die Schlussfrage: Von den Künstlern habe offensichtlich jeder so seinen „Schnackel“. Welcher sei es denn bei Matthias Kirschnereit? Ihr sei da noch nichts aufgefallen. Die Auflösung ist die „Banane vor dem Konzert“, ohne die er nicht spielen kann, im Gegensatz zu Herrn Sokolov, der vor und während des Auftritts, bzw. der Pause, rein gar nichts zu sich nimmt.