Nachtmusiken mit Matthias Kirschnereit in Völlen | Part II
Nachts kann es südlich von Leer schon mal richtig laut werden – zumindest wenn die Gezeitenkonzerte anrücken. In Völlen fand der „richtige“ Soloabend von Matthias Kirschnereit statt, über den es nun zu berichten gilt. Im Unterschied zu weiteren rund 150 Zuhörern, die schon das gleichfalls ausverkaufte Zusatzkonzert am vorgestrigen Dienstag besucht hatten, bekamen wir noch mehr geboten. Aber dazu später mehr.
Matthias Kirschnereit übernahm in einer Person die Funktionen Gastredner (Dank an den Sponsor Raiffeisenbank Flachsmeer eG), Moderator (direkt nach der Pause gab er eine kurze Einführung in Leben und Werk von Fanny Hensel) und Künstler. Denn Klavier spielen kann er ja auch ganz ordentlich. Sein Programm hieß „Nachtmusiken“.
Es begann mit zwei Stücken von Felix Mendelssohn Bartholdy, einem Lied ohne Worte (op. 67/3) und den Variations sérieuses (op. 54). Das bereits jetzt hochkonzentrierte Publikum nahm die Pause zwischen den Werken eines Komponisten nicht zum Anlass, übertrieben in Beifall auszubrechen, sondern wartete damit – wie im Verlauf des Abends immer – bis zum Ende eines Blocks, was ich fast schon erstaunlich und auf alle Fälle als wohltuend empfand. Es folgte Ludwig van Beethovens „Mondscheinsonate“ (op. 27/2), und bereits jetzt wurde mir klar, dass die Nacht nicht allein zum Schlafen da ist, weil es manchmal lauter zugeht, als dass es sich noch um Nachtruhe handeln könnte. Weshalb das Werk überhaupt „Mondscheinsonate“ heißt, blieb unklar; hier hätte ich mir durchaus mehr Aufklärung im Programmheft gewünscht … Direkt vor der Pause erklangen dann zwei Stücke von Frédéric Chopin, ein Nocturne in cis-Moll (op. posth.) und das Scherzo Nr. 2 (op. 31), letzteres in manchen Passsagen bereits eindeutig der Rubrik „Ruhestörung“ zuzuordnen. Stellenweise assoziierte ich merkwürdigerweise Klänge von Modest Mussorgsky, was mir bei Chopin bisher nun wirklich noch nicht passiert ist.
In der Pause blieb es trocken, was beweist, dass Klavierstimmer Tamme Bockelmann sich eine bessere Regen-App zulegen sollte, bevor er uns vor Konzertbeginn mit gewissen Aussagen konfrontiert.
Nach den beiden anmoderierten Fanny Hensel-Stücken, zwei Liedern ohne Worte (op. 6/3 und op. 8/2) ging es dann in Völlen in die Vollen: Matthias Kirschnereit spielte vier Préludes von Sergej Rachmaninoff (opp. 32/12, 23/5, 32/5 und 23/2) wobei er das heimlich im Steinway-Flügel versteckte Orchester auspackte und fast mehr aus dem Instrument herausholte, als es die kleine Kirche zu vertragen schien. Allen Denkmalschützern sei beruhigend mitgeteilt: Die Peter und Paul Kirche steht noch bzw. stand zumindest noch weit nach Konzertschluss. Näheres entnehmen Sie bitte ggf. der Lokalpresse … Das offizielle Abschlussstück des Abends war Alberto Ginasteras viersätzige Sonata para piano No. 1 (op. 22), die der argentinische Komponist 1952 fertigstellte. Wieder ging es am Klavier zur Sache, wobei der ruhige dritte Satz („Adagio molto appassionato“) von Matthias Kirschnereit besonders eindringlich gespielt wurde.
Donnernder Beifall, Trampeln (Holzfußboden!) und eine fast komplett stehende Zuhörerschaft: Da ließ es sich der Künstler nicht nehmen, erneut in die Tasten zu greifen. Chopins As-Dur-Etüde (op. 25/1), gefolgt von einer D-Dur-Sonate von Domenico Scarlatti (K 491) und dem beinahe unvermeidlichen Türkischen Marsch von Mozart (Satz 3 aus KV 331). Im Unterschied zu Dienstag wurde der Künstler zu einer vierten Zugabe genötigt, dem Bach-Stück „Jesu bleibet meine Freude“ (aus der Kantate BWV 147), in der großartigen Klavierbearbeitung von Myra Hess. Wir sollten neben einem Sponsor für Hustenbonbons spätestens jetzt auch im Bereich Taschentücher tätig werden!
Dann war der Abend vorbei, und es ging nach kurzem Aufräumen in die Heimatorte – außer für mich, denn bis Sonntag darf ich in Aurich nächtigen: Zwei dieser wahnsinnigen „Langen Nächte“ stehen bevor …