Jan Vogler und Lise de la Salle faszinieren mit äußerst temperamentvollem Spiel
Pewsum lockte nach vielen Gezeitenkonzerten 2016 endlich mal mit dem besten Sommerwetter seit Festivalbeginn. Dementsprechend entspannt waren auch die Gesichter von Pianistin Lise de la Salle und Cellist Jan Vogler, als sie nach der Probe aus der Nicolai-Kirche kamen. Dort war bereits wildes Gewusel, da auf engstem Raum sich sowohl das Team von Haase Catering als auch das der Gezeitenkonzerte aufbauen mussten. Alles wurde pünktlich fertig, die Gäste schlugen auch schon zeitig auf und genossen in der Sonne ihr Glas Wein und hielten ein Schwätzchen, dessen Inhalt häufig die letzten Konzerte waren. „Haben wir uns nicht gestern schon in Emden bei Lars Vogt und Anna Reszniak gesehen? Und bei Frau Leonskaja waren Sie doch auch!“ Für manche wird das Festival zunehmend zum Happening, bei dem Freundschaften geknüpft werden, sodass man sich auch im Winter auf einen Kaffee trifft.
Doch eint alle eins: die Musik! So hatten auch heute pünktlich zu Konzertbeginn alle ihre Plätze aufgesucht, manche dabei rechts und links verwechselt, waren aber guter Dinge, hörten den kurzweiligen Begrüßungen von Pastor Andreas Jäckel und Landschaftspräsident Mecklenburg zu.
Lise de la Salle und Jan Vogler warteten derweil im Abstellraum der Kirche, klebten noch rasch Noten, bzw. stimmten ihr Instrument. Dann erstürmten sie die Bühne und erweckten gleich mit den ersten Takten die Neugier des Publikums.
Pop-artige Klänge drangen in einem Kammerkonzert in mein Ohr. Gut, Debussy habe ich nie als schwergängig empfunden, aber diese Sonate d-Moll für Cello und Klavier L 135 machte noch einmal mehr gute Laune. Gitarren-artige Klänge entfleuchten Jans Cello im Prologue. Weiter ging es mit einer witzigen Einleitung – hier wieder für mich im Bezug aufs Cello – in der Sérénade und auch das Finale gefiel mir außerordentlich gut. Dazu muss ich sagen, dass es mir grundsätzlich manchmal schwerfällt, mich entspannt auf unsere Konzerte einzulassen, geht mir doch viel zu viel im Kopf rum, das ich nicht vergessen darf. Sollte mich jemand mit dem Smartphone in der Hand während des Konzertes erwischen, gebe ich ihm mein Ehrenwort: Dann ist es wichtig. Normalerweise fiele es mir im Traum nicht ein, den Künstlern nicht den nötigen Respekt zu erweisen und zumindest während dieser Zeit darauf zu verzichten.
Hätte ich die Musik nicht hören, sondern nur sehen können, wäre dieser Konzertbesuch dennoch ein Erlebnis gewesen! Die Kommunikation der beiden Musiker untereinander und ihre Körpersprache waren einfach umwerfend. Die Bezeichnung „ausdrucksstarkes Spiel“ traf in diesem Fall definitiv zu. Das Foto von Lise im Programmheft fand ich schon sehr hübsch, aber in natura gefiel sie mir noch deutlich besser. Die Haare sind dunkler und wie sie auf die Noten schaut und sie sich direkt durch ihren Körper auf die Tasten ergießen zu scheinen – die Energie: herrlich!
Im Publikum saß übrigens ein weiterer großer Musiker: Bratschist Kyle Armbrust, der Partner von Lise, mit dem Jan Vogler zuvor in Bad Kissingen aufgetreten war.
Im Anschluss an Debussy folgte vor der Pause ein beschwingt daherkommender Beethoven, der alle beseelt in die Pause entließ. Alle fünf Cello-Sonaten können Sie bei den Gezeitenkonzerten am 15. und 16. Juli von fünf unterschiedlichen Cellisten und Pianisten in den Kirchen zu Ditzum und Bargebur erleben, aber das nur nebenbei.
Schade, dass die beiden Künstler keine CDs mitgebracht hatten. Diese hätten mit Sicherheit rasenden Absatz gefunden.
Brahms’ Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1 in e-Moll op. 38 stand als letztes Stück im offiziellen Programm, das von den beiden Musikern hingebungsvoll zelebriert wurde. Neben tosendem Applaus der Besucher und dem Teepräsent von den Gezeitenkonzerten ließ es sich auch die Küsterin der Kirchengemeinde Pewsum nicht nehmen, ein weiteres Geschenk zu überreichen. Dann gab es das “Largo’ aus Chopins Cellosonate als Zugabe. Es sei sein letztes Konzert gewesen, dass er in Paris uraufgeführt habe, so Jan Vogler. Sehr gefühlvoll näherten sich Lise und er dem Stück. Die Gäste waren derartig begeistert, dass sie sich stehend eine weitere Zugabe erklatschten. Hinten im Vorraum hörte ich, wie Jan zu Lise auf Englisch so etwas sagte wie „Sind die süß!“. Vorne auf der Bühne wünschte Lise „Gute Nacht!“., bevor sie einen Allegro-Satz von Schostakowitsch ankündigte. Virtuos und temperamentvoll ging es zur Sache: Was für ein rasanter Rausschmeißer! Der einzige Wermutstropfen war für mich, dass es einige Besucher schon nach dem Brahms nicht abwarten konnten und sich bereits auf den Heimweg machten. Zum Schluss war es sogar so, dass Lise und Jan mit „Verkehr“ im Mittelgang zu kämpfen hatten. Begeistert waren sie jedoch alle. Ein Besucher raunte mir zu: „Weltklasse – in Pewsum!“. Wo er Recht hat, hat er Recht.