2015 fahren die Gezeitenkonzerte in ihre vierte Saison
Die nächste Saison der Gezeitenkonzerte der Ostfriesischen Landschaft steht bevor, wieder mit neuen Entdeckungen, spannenden Kontrasten – und diesmal alles unter dem Motto „Neue Bahnen“! Was hat es damit auf sich?
1853 war Robert Schumann 43 Jahre alt und seit drei Jahren Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf. Er war seit 1840 mit Clara (geb. Wieck) verheiratet, und beide hatten inzwischen sechs Kinder. Es ging also sicherlich ebenso hochkarätig musikalisch wie einigermaßen unruhig zu im Hause Schumann. Und am letzten Septembertag 1853 kam (auf Empfehlung des Freundes und berühmten Geigers Joseph Joachim) für einige Tage der junge Hamburger Johannes Brahms zu Besuch.
Brahms machte nachhaltig Eindruck, sowohl in Bezug auf seine Persönlichkeit, seine pianistischen Fertigkeiten und sein kompositorisches Talent. Er wurde schnell zum Freund der Familie Schumann.
Robert Schumanns Brahms-Begeisterung mündete Ende Oktober in die Veröffentlichung in der (früher von ihm geleiteten) „Neuen Zeitschrift für Musik“. Er gab seinem Artikel die Überschrift „Neue Bahnen“. Schumann sah im gerade Zwanzigjährigen den kommenden Meister der Musik: „Ich dachte, (…) es würde und müsse (…) einmal plötzlich Einer erscheinen, der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre, einer, der uns die Meisterschaft nicht in stufenweiser Entfaltung brächte (…). Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten.“ Auch wenn Schumann es sicher nur gut meinte, so hat dieser hymnische Artikel den jungen Hamburger auch gebremst und in Verbindung mit seinem hohen eigenen Anspruch sogar blockiert. Schumann schrieb: „Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbarere Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor.“ Die ersten erfolgreichen großbesetzten Werke von Brahms haben jedoch auf sich warten lassen; das erste Klavierkonzert fällt 1859 durch, „Ein deutsches Requiem“ kommt 1867, die erste Sinfonie gar erst 1876, nach eineinhalb Jahrzehnten Arbeit, ans Tageslicht.
Weder sind gutgemeinte Vorschusslorbeeren falsch, noch führen sie zwangsläufig zu gegenteiligen Ergebnissen. Die vierte Saison der Gezeitenkonzerte versucht daher musikalisch, „Neue Bahnen“ aufzuzeigen. Unter diesem Motto sind – aus Sicht des nicht autofahrenden Hamburger Programmheftautors – leider keine direkten Zugverbindungen wenigstens nach Aurich zu erwarten. Dafür stellen die Gezeitenkonzerte in vielen der erneut rund dreißig Konzerte im Sommer 2015 Werke vor, die auf unterschiedliche Weise „Neue Bahnen“ beschritten haben oder aktuell zeitgenössisch beschreiten. Welche Musikstücke in der Geschichte haben gezeigt, wo es lang geht? Gab es danach Rennstrecken, Einbahnstrassen, sogar Sackgassen? Welche Verbindungsbahnhöfe, Raststätten oder Berghütten sind daraufhin sinnbildlich entstanden? Hatten die Komponisten die Zukunft im Blick oder entwickelten sich „Neue Bahnen“ quasi unabsichtlich?
Diese und weitere Fragen können Sie sich musikalisch beantworten lassen. Denn die Interpreten der Gezeitenkonzerte schwärmen von Ihnen als Publikum! Und dass auch die „Macher“ des Festivals gespannt sind auf einen erneut aufregenden Sommer, das steht ebenfalls jetzt schon fest.
Werke mit „bahnbrechendem“ Ansatz oder gar Erfolg gibt es in vielen Komponistenbiographien. Mal abwarten, was sich der Künstlerische Leiter und sein Organisationsteam für 2015 alles haben einfallen lassen!
Eine schöne Idee könnte sein, Werke aus Schumanns und Brahms’ eigenem Schaffen und ihrem kompositorischem Umfeld konkret aus dem Jahr 1853 in einem Konzert gemeinsam zur Aufführung zu bringen.