Sengwarden platzte aus allen Nähten. Rund um die ehrwürdige St.-Georgs-Kirche versammelte sich ein ganzer Fuhrpark. Noch enger wurde es in der Kirche. Bis hinter die Orgel quetschten sie sich, um für zwei Stunden zu reisen. Nach Italien. Haltestelle: Barock – Alte Musik. Pastor Schwarz erzählte in der Pause, dass die Kirche mit ungefähr 350 Besuchern voller war als an Weihnachten. Ein Blockflötenspieler, eine Gamba und eine Laute locken also mehr Menschen in die Kirche als das heilige Fest.
Aber wie es auch Weihnachten nur einmal im Jahr gibt, bekommt man auch Maurice Steger, Hille Perl und Lee Santana eben nur höchstens einmal im Jahr zusammen auf der ost-friesischen Halbinsel zu hören. Maurice Steger gehört quasi zur ersten Garde der Gezeiten-Künstler, war er doch im ersten Durchgang einer der Künstler, der für Riesen-Begeisterung sorgte. Einer der weltweit führenden Flötisten in Friesland? Das war 2012 schon etwas besonderes. Jetzt kehrte er wieder zurück an jenen Ort, wo er 2012 mit dem English Concert spielte. Die Begeisterung war ungebrochen. Was sicherlich auch an seiner Begleitung lag. Hille Perl, die in Norddeutschland lebt und zu den führenden Köpfen der Alten Musik zählt, und Lee Santana, für den das gleiche gilt, machen dieses Trio zu dem, was es ist: das „coolste Trio der Alten Musik“, wie die Rhein-Neckar-Zeitung einmal schrieb.
„Von Milano bis Napoli – Eine barocke Reise durch Italien“ hieß das Programm. Maurice Steger arbeitet gerne programmatisch. Es macht Sinn, den vielen unbekannten Werken einen größeren Rahmen zu geben. Unbekannt war nämlich ein Großteil der Werke für alle, die nicht gerade Experten der italienischen Barockmusik sind. Wie ein musikalischer Schatzsucher hat sich Steger in die Jahrhunderte zurück begeben, alte Manuskripte erforscht und sie konzertreif für die Bühne des 21. Jahrhunderts gestaltet. Dass es tatsächlich abenteuerlich zu ging, hat er einmal im Interview mit Dirk Schümer (übrigens selbst ein großer Kenner barocker Musik) verraten: „Wir wussten von spannenden Noten in einer Klosterbibliothek, aber die Mönche ließen niemanden an die Manuskripte heran. Wir haben dann einen Neapolitaner gefunden, der die Erlaubnis bekam – ich glaube fast, weil er unverschämt gut aussieht und den Dialekt perfekt spricht. Unser Mann hat die Noten heimlich mit seinem iPhone fotografiert und so in die Welt zurückgeholt. Das war vielleicht nicht ganz einwandfrei, aber anders ging es nicht.“ (Quelle: FAZ, http://bit.ly/1pswH5x)
In Sengwarden blühte diese Musik von Corelli, Bertali oder Rossi auf. Abwechslungsreich, virtuos, lebendig und irgendwie zeitlos. Natürlich reist man gedanklich in eine Zeit, die sich nur erahnen lässt, denkt sich ins Italien des 17. Jahrhunderts. Und doch ist diese Musik allgegenwärtig und ähnlich wie das Werk von Bach unzerstörbar und immer noch zukunftsweisend wie jedes große Kulturgut. Man kann nur hoffen, dass sich in den Bibliotheken noch geheime Schätze verstecken, die von diesem Trio noch geborgen werden.
Was sich aus den Instrumenten herausholen lässt, war beeindruckend. Lee Santana sorgte dafür, dass es auch optisch eindrucksvoll aussah und man fragte sich, wieso diese Instrumente nicht stärker für zeitgenössische Kompositionen verwendet werden. Nach zahlreichen umjubelten Stücken dieser italienischen Meister endete das Konzert mit Corellis Concerto für Flöte no. 10, das vor allem die Flöte auf eine wilde Achterbahn schickt und noch einmal verdeutlichte, dass die Blockflöte eine sportliche Herausforderung ist. Glückliche Gesichter verließen die Kirche Sengwarden und kauften jede Menge CDs (über 40). Kein Wunder, befinden sich doch viele der aufgeführten Werke auf den Tonträgern. Maurice Steger verschenkte nach dem Konzert die übrigen CDs an das Team. Jetzt läuft eben jenes Corelli Concerto über die Anlage und diese üppige, verspielte, aufregende Alte Musik von diesen Interpreten ist ganz Groß darin, die Gegenwart zu verändern.