Eine Reise mit Klezmer-Klängen und dem David Orlowsky Trio
Weiter geht’s in unserer kleinen Non-Klassik-Reihe. Bevor wir heute Abend wieder zu den Cello-Sonaten eines alten Meisters zurückkehren, stand gestern Abend das David Orlowsky Trio im Theater auf der Werft in Papenburg auf der Bühne. Schon der Veranstaltungsort kam uns sehr entgegen: Nicht draußen, kein Regen, nicht kalt. Statt den ab und an monierten Kirchenbänken bequeme Theatersitze. Zudem sind eigentlich alle Plätze in diesem Raum gut, da es keine Säulen gibt und der Raum ansteigend ist. Meine Kollegin Mareike Henninger und ich hatten das Glück, auf Plätzen zu sitzen, die von anderen Kunden abgelehnt wurden. Eigentlich waren sie perfekt. Oben, ganz vorne vor einer Glaswand. Einzig der Scheinwerfer störte ein bisschen, aber ich musste nicht einmal meinen Kopf verbiegen, um gut zu sehen und vor allem zu hören.
Los ging es mit drei selbst komponierten Stücken des Trios direkt hintereinander. Für alle, die wie ich vorher noch nie ein Klezmer-Konzert besucht haben: Es hat doch nicht so viel mit Volksmusik zu tun. Andy Borg könnte das nicht. Jeder einzelne des Trios war ein Virtuose, aus verschiedenen Bereichen kommend. Genau wie gestern beim Tingvall Trio gefiel mir die Aufteilung im Duo, denn jeder war einmal Solist und trotz des Namens keineswegs nur Begleiter. Die ersten drei Stücke bestanden aus eingängigen Melodien, fast Musik zum Nebenbei-Hören und aus virtuosen Passagen der vollen Konzentration. Schon nach drei Minuten war ich Klezmer-Fan.
Nach dieser furiosen Einleitung begann die im Programm angekündigte Reise Paris-Odessa, begonnen in Odessa. Spontan verspürte ich den Antrieb, aufzuspringen und zu „Kalinka“ zu tanzen.
Im Laufe des Abends wurde deutlich, dass das Trio von kleinen alltäglichen Begebenheiten zu ihrer Musik inspiriert wurde. So auch bei ihrem Stück „Istanbul“. Auf einer Reise haben sie ein Viertel gefunden, das nur aus Musikgeschäften besteht. Die Leute kauften sich Musikinstrumente und machten auf der Straße Musik. Das wünsche ich mir mal in Leer beim Klavierhaus Bockelmann! Das Stück selbst hatte den Charakter einer Jam-Session, wie Jesse und ich es nennen.
Schneller als gedacht waren wir schon wieder in der Pause. So langsam lerne ich Sie, liebes Publikum, kennen, einige Namen kann ich schon. Da ich meistens den Einlass mache, kann ich mir die Gesichter gut merken. Und ich freue mich immer über jeden, der mir die Hand gibt oder ein kurzes Gespräch führt, wenn die Schlange es zulässt. Man steht da doch ganz schön lange.
Nach der Pause wurden mehrere Stücke ohne Namen geboten. „Kennste eins, kennste alle“, dachte ich kurz. Doch dann findet sich in jedem Stück etwas neues, sei es ein Solo, eine neue Spieltechnik oder eine neue Bewegung. David Orlowsky dirigierte ein wenig mit seinen Füßen mit, sein Stampfen setzte Impulse in der Musik. Aus seiner Klarinette holte er alles raus, er konnte sowohl den schönen Ton als auch Kreischen, Schnarren und Quietschen. Auch Gitarrist Jens-Uwe Popp benutzte sein Instrument auch als Perkussionsgegenstand.
Dann waren wir am Ziel unserer musikalischen Reise angekommen: Paris, der Stadt der Liebe. Zumindest für Japaner, Müllberge und soziale Unruhen in den Banlieues werden gerne mal wegromantisiert. Doch auch unser Trio hat sich verliebt und zwar in eine elegante Katze, die sie aber nicht erhörte. Das Lied war voll Schmerz und Trauer, die Klarinette klagte der Verflossenen nach und imitierte ihre aufrechte Haltung und ihren Stolz. Wenn die drei eins können, dann Stimmungsbilder erzeugen. So auch beim nächsten Lied: Mit einem Hyperraumsprung überquerten wir Rhein, Ruhr und Spree und landeten wieder im Osten, im Taxi. Und zwar bei einem dieser Taxifahrer, den wir alle nach einem feucht-fröhlichen Abend kennen. Unterhält sich die ganze Zeit, schaut nicht auf die Straße und Geschwindigkeitsbegrenzungen sind auch nur Vorschläge. Nur bei einer roten Ampel konnten sie kurz verschnaufen. Auch das wurde perfekt auskomponiert, plötzlich kehrte in hektisches Spiel immer wieder Ruhe ein. Atempausen.
Das Publikum im ausverkauften Saal war begeistert: Standing Ovations und Bravo-Rufe. Goutiert wurde dies mit zwei Zugaben, eine davon war ein „Experiment“, also ein unfertiges Stück. Überblasen hat er meines Wissens nach nur ein Mal. Auf verschlungenen Pfaden wegen einer Sperrung fuhren wir alle sehr zufrieden nach Hause und waren sogar erstaunlich früh da, um mitzubekommen, wie die Welt immer verrückter wird, wenn man in die Türkei blickt.
Heute Abend geht es wieder mit Klassik in Ditzum weiter, doch die Beethoven-Konzerte sind bereits restlos ausverkauft. Ans Herz legen möchte ich an dieser Stelle unser Konzert in Norden mit dem Vokalensemble Singer Pur und Anneke Brose, da Gesang und Orgel dabei sind. Das gibt es dieses Jahr wahrlich nicht allzu oft bei den Gezeitenkonzerten.