Die Gipfelstürmer Philipp Wollheim (Violine), Raphael Paratore (Violoncello) und Verena Metzger (Klavier) fluten das Kurhaus Dangast mit Musik
Und schon wieder ein runder Geburtstag, wie schnell man doch alt wird: Konzert 30 im alten Kurhaus in Dangast. Ein außergewöhnlich schöner Spielort, denn das Kurhaus ist direkt am Meer gelegen. Auch das konstant schlechte Wetter hatte gestern seinen ganz eigenen Charme und lud trotzdem zu Strandspaziergängen ein. Ab 20:00 Uhr machte ich es mir auf einem der Hörplätze gemütlich, in einem kleinen Seitenschiff (Wir waren zu lange in Kirchen!) des Konzertraums, der ebenfalls sehr gemütlich war. Mit Stammtisch-Feeling begann das Konzert mit meinem Highlight der ersten Hälfte, Schostakowitschs erstem Klaviertrio, was er im zarten Alter von 17 Jahren für eine junge Angebetete schrieb, die seine Gefühle später sogar erwiderte. Komponist müsste man sein… Auch wenn dieses Stück laut Programmheft noch recht „romantisiert“ ist, musste ich sofort an Schostakowitsch denken. Solche Phrasen, gerade in der Violine, muss man sonst lange suchen. Gerade die schnellen Aufwärtsläufe weckten die Aufmerksamkeit und brachten mich so richtig in Konzertstimmung. Von meinem Hörplatz aus konnte ich immer mal einen Streicherkopf wippen und wackeln sehen.
Unser Klaviertrio bestehend aus Verena Metzger, Phillipp Wollheim und Raphael Paratore spielte meisterlich zusammen und intonierte sehr genau. Am Anfang war das Klavier sehr dominant, doch die anderen beiden glichen sich dem schnell an. So hatten wir in dem nicht allzu riesigen Raum einen richtig satten Klang, wie man ihn nicht oft zu hören bekam. Die Uraufführung von Schostakowitschs Werk sei nicht gelungen gewesen, hätte er sie mal besser in Dangast veranstaltet!
Nach diesem stimmungsvollen Auftakt durften die beiden Streicher einzeln zeigen, was sie können. Den Anfang machte Raphael Paratore am Cello mit Faurés „Après un rêve“, ein Lied, was für Cello und Klavier bearbeitet wurde. Sehr sanglich und schön, ebenfalls ein frühes Werk des Franzosen. Junge Künstler spielen junge Komponisten, ein Traum! Im Anschluss wurde es etwas moderner, Phillipp Wollheim spielte den Blues-Satz aus einer Violinsonate von Ravel, die wir dieses Jahr schon mal bei den Gezeiten hören durften. Wer erinnert sich noch? Ravel war ganz begeistert von diesen neuen Musikformen und mixte sie in seinem unverkennbaren Stil mit der klassischen Violinsonate. Diese ist sogar bitonal, das bedeutet, dass das Klavier in As-Dur notiert war, während die Violine in G steht. Im Quintenzirkel trennen Lichtjahre diese beiden Tonarten, es müsste eigentlich grässlich klingen. Tatsächlich war es aber sehr schön und beide Klassiker auf der Bühne fühlten sich im anderen Fach augen- und ohrenscheinlich pudelwohl. Geschickte Glissandi und gelegentliche Krächzgeräusche bildeten die wunderbare Imitation eines Saxophons. Bravissimo!
Abgerundet wurde die erste Hälfte durch ein zyklisches Werk von Fanny Hensel. Diese Komponistin war mir vor dem Festival komplett unbekannt, was sehr schade ist. Danke Matthias, dass du so für sie schwärmst! Der Kopfsatz dieses d-Moll Klaviertrios ist unübertroffen, die Themen sind sehr eingängig und mitreißend. Viele um mich rum begannen, auf dem Tisch mit Klavier zu spielen oder wippten zumindest mit dem Fuß. Auf eine sehr lange Exposition folgte eine virtuose Durchführung. Der anschließende Andante-Satz war sehr lyrisch, vor allem der Klavierpart war einfach schön. Er mündete attaca (also ohne Satzpause) in ein „Lied ohne Worte“ für Klaviertrio. Den Übergang haben die drei toll gestaltet und attaca wirklich ernst genommen. Dieses kurze Intermezzo mündete in ein Finale, das sehr stark an den ersten Satz erinnerte, aber nochmal mehr Facetten in Dynamik und Ausdruck enthielt. Nach einer donnernden Schlusskadenz ernteten die drei großen Beifall, bevor es in die Pause ging, in der man sich mit exquisitem Rhabarberkuchen und ausgewählten Speisen des Hauses stärken konnte.
Nach einer knappen halben Stunde stand nur noch ein Werk auf dem Programm: Beethovens Klaviertrio Nr. 7, leider besser bekannt unter dem irreführenden Beinamen „Erzherzog“. Auf eine majestätische, typisch Beethoven´sche Eröffnung folgte ein sehr ungewöhnliches Scherzo, das jeden sonst üblichen tänzerisch-spielerischen Charakter abgelegt hatte. Ich hatte zunächst sogar einen Fehler im Programmheft vermutet, doch dem war nicht so. Eine zweite Hörbegegnung ist in jedem Fall in Planung! Auf ein eher kurzes Andante (Beethoven ist schnell und feurig einfach besser) folgte ein sehr langer Schlusssatz, der allen dreien nochmal alles abverlangte. Das begeisterte Publikum wurde mit dem „Sommer“ aus Piazzollas Jahreszeiten belohnt. Alle schienen rundum glücklich zu sein und auch ich kann sagen: Erwartungen übertroffen!