Ein Tag im Musikdorf Groothusen
Der traditionelle „Familientag“ der Gezeitenkonzerte der Ostfriesischen Landschaft wurde in diesem Jahr neu erfunden. Durch die Zusammenarbeit mit TONALi, einem Veranstalter, der in Hamburg regelmäßig Wettbewerbe für Klavier, Violine und Violoncello ausrichtet und sich nun erstmals aufs Land hinauswagt, wird der Musikalltag zum Erlebnis. Denn es gilt, mehrere Stationen abzuarbeiten – vom Komponisten, den ausübenden Musiker, den Musikverlag, die Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu Probe und Konzert.
Und das gelang vorzüglich. Groothusen ist wie geschaffen für diese Art von ambitionierter Kinderfortbildung (an der auch reichlich Erwachsene teilnahmen). Das idyllische Dorf bietet mit seiner Osterburg, der letzten erhaltenen von einstmals drei Häuptlingsburgen in Groothusen, dazu den fußläufig erreichbaren Räumlichkeiten im Dorfgemeinschaftshaus, in der Schmiede, bei der Feuerwehr und natürlich in der mehr als ein halbes Jahrtausend alten Kirche, genügend Möglichkeiten, um den Besucherstrom aus rund sechzig Personen in vier Gruppen loszuschicken.
Kurz nach 11:00 Uhr ging es los. Nach der Empfangsrede des Bürgermeisters Frank Baumann (und Danksagungen an alle freiwilligen Helfer, die Tür und Tor geöffnet hatten), schwärmten die Besucher aus. Zum Beispiel konnte es einen mit grünem Namensschild zunächst ins Dorfgemeinschaftshaus verschlagen. Dort spielte Lilit Grigoryan Klavier und erklärte anhand eines Musikstückes, wie und was man daran üben kann. Auch das musikalische Vorwissen der Kinder wurde abgefragt. Wer mochte, durfte selbst etwas vorspielen! Nach einer halben Stunde ging es in der Schmiede weiter. Dort interviewte Friederike Holm, Redaktionsleiterin des concerti Magazins, den Geiger Philipp Wollheim und bot den Kindern die Möglichkeit, selber Fragen an den Künstler zu stellen.
Das Highlight der Runde folgte im Anschluss in der Osterburg bei der Komponistin Karoline Schulz, die aus Dresden angereist war und ihre Querflöte sowie etliches Orff-Klanginstrumentarium mitgebracht hatte. Im Programmheft der Gezeitenkonzerte war eine Doppelseite mit leeren Notenlinien abgedruckt worden, die es nun zu füllen galt. Die Kinder durften ihre melodischen Ideen zu Papier bringen und erlebten sofort die klangliche Umsetzung ihrer Einfälle, denn Karoline Schulz spielte die Kompositionen vom Blatt direkt vor – ganz großes Kino! Sie half auch dort, wo es nicht so recht von allein klappen wollte, aber man kam immer zum Ziel, und es ist tatsächlich so, wie sie sagte: „Beim Komponieren kommt nie etwas Schlechtes raus.“
Dann war erstmal Mittagspause, das Angebot an Essen und Trinken vor Ort wurde ausgiebig genutzt – wobei der selbstgemachte Kartoffelsalat ein Extralob verdient hat!
Bei der Feuerwehr hatte dann Gabriel Teschner vom Hamburger Sikorski Verlag seine Schätze in der Garage ausgebreitet: Handschriften in sehr unterschiedlichen Größen und Lesbarkeiten von diversen Verlagskomponisten, dazu parallel zum Vergleich die Druckfassungen, manchmal auch Beispiele von ausgeschriebenen Einzelstimmen. Es wurden interessante Einblicke in die Welt der Arbeit eines Musikverlages, die man bestimmt nicht oft so fundiert erläutert erleben kann. Im Anschluss an diese vier Stationen, die von den vier Gruppen in unterschiedlicher Reihenfolge absolviert wurden, fanden sich alle Teilnehmer in der kühlen Kirche wieder und erlebten am Beispiel des ersten Teiles des ersten Satzes von Felix Mendelssohn Bartholdys erstem Klaviertrio, was ein versierter Musikprofessor wie Matthias Kirschnereit den drei jungen Musikern Verena Metzger (Klavier), Philipp Wollheim (Violine) und Raphael Paratore (Violoncello) in musikalischer Detailarbeit vermitteln kann. Vielleicht war dieser Abschnitt mehr an schon musikalisch vorbelastete Besucher gerichtet – dennoch hatten auch alle ihren Spaß, als die Musiker einmal zeigen sollten, wie es sich anhört, wenn man absichtlich nicht immer die richtigen Töne trifft.
Nach einer kleinen Verschnaufpause, einer kurzen (!) Ansprache des künstlerischen Leiters Matthias Kirschnereit und einem spontanen Soloauftritt von Lilit Grigoryan (mit zwei Stücken von Aram Chatschaturjan) spielten dann die drei Musiker einen Ausschnitt aus dem Programm des Freitagabends in Münkeboe: Die ersten zwei Sätze vom Mendelssohn, das groteske Scherzo aus dem zweiten Schostakowitsch-Klaviertrio und den Schlusssatz aus Haydns sogenanntem „Zigeunertrio“. Donnernder Beifall für alle, auch und besonders für die Vorsteher an den vier Stationen!
Der Donner fand dann vor der Kirche seine unwetterartige Fortsetzung, und es organisierte sich ungefragt ein knapp halbstündiges Gewitter mit literweise Regen über dem Musikdorf Groothusen. Gut, dass noch Zeit für einen leckeren Kaffee unter dem wasserdichten Sonnenschirm blieb (oder wahlweise eine Runde auf dem Trampolin) – bevor es über Emden und Bremen zurück in die schönste Stadt der Welt ging. Fast fünfzehn Stunden Abwesenheit sind genug! Diesmal aber nur für dreieinhalb Tage…