Ein Sommernachtstraum mit Rufus Beck und Anna und Ines Walachowski
Man lernt nie aus, als Hamburger, auf dem Weg nach Emden: Das Zwischenahner Meer ist ein See, heißt aber Meer, weil hier alles, was ein See ist, so heißt. Die Hinfahrt war also ein schönes Vergnügen, es reichte zwar nicht für Bratkartoffeln (16:00 Uhr = falsche Zeit), aber Matjes gab es trotzdem – und die Gelegenheit für eine gut einstündige Rundfahrt auf dem Teich, Pardon: See, Pardon: Meer.
„Schnitt“ (Rufus Beck). Das Borkumterminal in Emden ist als ungewöhnlicher Veranstaltungsort für ein Gezeitenkonzert eine originelle Idee. Trotz durchgängiger Klimaanlage, stellenweise Regengeprassel und dem – bei kulturellen Veranstaltungen in unseren Breiten leider fast obligatorischen – Gläser- und Flaschengeklirr direkt nach der Pause war es ein unterhaltsames Abenteuer, hier den „Sommernachtstraum“ aufzuführen. „Von und nach William Shakespeare“, wie es im Programmheft heißt, bzw. als One-Man-Show eines Rufus Beck, gab es Theater en miniature, musikalisch begleitet von Anna und Ines Walachowski, die dazu vierhändig auf dem Klavier Mendelssohn spielten.
Nach einer kurzen Begrüßungsrede durch den (kennen Sie sonst noch ein Wort mit fünf „e“ und Doppel-“i“ =) Reedereiinhaber Dr. Bernhard Brons begann die „Musikalische Lesung“ auch direkt mit der kompletten Schauspielmusik-Ouvertüre von Felix Mendelssohn Bartholdy, gespielt von den beiden Walachowski-Schwestern. Wer Karten für das ausverkaufte Schlusskonzert am 14. August in Bunderhee sein eigen nennen kann, wird das Werk dort in der Orchesterfassung erleben. Auch in der von Mendelssohn selbst verfertigten vierhändigen Klavierfassung war der romantische Zauber des „Sommernachtstraum“ gut zu spüren.
Schnitt, Auftritt Rufus Beck. Im großkarierten Anzug betrat der schauspielende Entertainer (und was er noch so alles kann, sehen Sie ansatzweise hier: http://www.rufusbeck.de/index.php?id=62) die kleine Bühne neben dem Flügel. Ich hatte eher eine furios-konfuse Theateraufführung der Shakespeare-Komödie erwartet, es folgte aber eine quasi kommentierte Nacherzählung. Das Stück ist auch durchaus kompliziert, erzählt es doch in vier Handlungsebenen, die sich teilweise miteinander vermischen, von traumhaften Irrungen und Wirrungen in einer Sommernacht. Streckenweise schlüpfte Rufus Beck in eine der Rollen, ganz selten, am liebsten als Oberon oder Puck mit Sonnenbrille, rezitierte er tatsächlich den heutzutage nicht leicht zu verstehenden Schlegel-Tieck-Text, der vor gut zweihundert Jahren als Übersetzung entstand. Nachdem sich meine Erwartungshaltung etwas geschüttelt hatte, konnte ich mit dieser Version sehr gut leben. Schließlich dauert so ein Theaterstück doch einige Stunden, allein die Mendelssohn-Musik (die in Emden so gut wie komplett gespielt wurde) hat eine Dauer von etwa fünfzig Minuten. Und sobald am frühen Morgen die ersten Fähren wieder fahren, würde man wahrscheinlich kaum noch etwas verstehen oder das Frühstücksbuffet herbeisehnen…
Schnitt, Pause nach einer Stunde. Wie bei den Gezeitenkonzerten üblich, hatte der Regen inzwischen aufgehört, so dass es sich ein wenig im Freien aushalten ließ. Zwischen „erfrischend kühl“ und „mir wird kalt“ ist es manchmal ein schmaler Grat. Auf Anfrage gab es aber an der Bar durchaus auch Espresso.
Der zweite Teil des Abends begann mit dem musikalisch ausdrucksvollsten Stück der Schauspielmusik, dem Notturno (Nr. 7, Con moto tranquillo). Mir war, als hätten die Pianistinnen einen besonders intensiven Zugang zu dieser Musik gefunden. Schnitt, Rufus Beck kam erneut hinzu. Neben einigen zitierfähigen Sprüchen („Elfen können verwöhnen, wie Menschen es niemals können – nicht einmal auf dem Theater.“) vergriff er sich (mit Absicht?) ein einziges Mal gegenüber den doch gespannt lauschenden 280 Zuhörern (ausverkauft, natürlich): Die Handwerker proben ihr Stück, und Rufus Beck blickt als einer der ihren mit flackerndem Blick ins Auditorium: „Das Publikum – ein lahmer Haufen, aber wem sag’ ich das.“ Irritiertes Gemurmel …
Es ging aber heiter weiter, eine der Liebenden stößt im Wald auf die Schauspieltruppe und weiß: „Wo Männergebrüll, da Zivilisation!“ Und alles nimmt ein gutes Ende. Götter, Politiker, Liebespaare, Handwerker – alles findet in seine wahre Identität zurück, und es ist endlich wieder Ruhe im Wald.
Manchmal habe ich mich dabei ertappt, während der Klaviermusik „trotzdem“ Rufus Beck zu beobachten. Was er wohl denkt? Ist sein Ansatz, man möge nach diesem Abend das Stück unbedingt im Theater sehen wollen, realistisch? Wie viel Paralleluniversum verträgt ein Mensch?
Schnitt, die Komödie ist zu Ende. Rufus Beck hat sogar ein kleines Liedchen im Stile der 1930er Jahre auf einen eigenen Text gesungen. „Die Welt ist gut, der Mensch ist schlecht“, schreibt Erich Kästner in unruhigen Zeiten. Noch leben wir in Deutschland, in Mitteleuropa, im noch reichlich friedlichen Abendland wie im Paradies und können gefahrlos einer Shakespeare-Komödie lauschen. Oder um es mit Rufus Becks bestem Satz des Abends zu sagen, den ich mir dringend merken muss: „Fast alles wird gut – für eine Nacht jedenfalls.”.
Schnitt, Nacht, Rückfahrt. Die vielen Windkrafträder haben jeweils zwei rote Lichter, die einen anschauen, als wären es Waldgeisteraugen. Ein SommerNachtsTraum – wer sagt’s denn …